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Bettmann:
Wir suchen Anlehnung bei der Physiognomik, die sich mit
dem Äußeren der Lippe beschäftigt, nicht nur soweit sie ebenso
die individuellen Unterschiede zurücktreten lassen muß hinter
Typisierungsversuchen, sondern weil wir eben dieselben Faktoren,
welche die Physiognomie der Gegend bestimmen, auch für die
Kapillarbilder heranzuholen haben. Also handelt es sich nicht nur
darum, etwa zu Tatsachen der Lippenform mit den Unterschieden
nach Breite und Höhe, genauerer Gestaltung des Lippensaumes,
besonderen Konfigurationen, Grübchenbildungen usw. das Aequi-
valentbild im Kapillarmikroskop zu suchen und festzustellen, wie-
weit dieses einen obligaten Teilbestand bestimmter Formungen
darstellt, sondern es wäre im Speziellen zu fahnden, wie sich be-
stimmte physiognomoplastische Kräfte ins Kapillarbild pro-
jizieren.
Wir hätten also nicht nur zu fragen, ob zu dem gewohnheits-
mäßig offenstehenden Mund, den zusammengepreßten Lippen, dem
vorgeschobenen Kiefer usw. bestimmte Kapillarbilder gehören,
sondern auch, ob eine bestimmte physiognomische Änderung ent-
sprechende Änderungen des Kapillarbildes zur Folge hat und sie
eventuell erzwingt. So werden am wichtigsten Bilder der Entwick-
lung. Ihr genaueres Studium ist eine mühselige, noch nicht abge-
schlossene Arbeit.
„Allgemein ergibt sich aus physiognomischen Studien, daß
die Kiefer mit den Zähnen diejenigen Teile des Gesichtes sind,
welche sich bei den verschiedenen Wachstumsperioden am meisten
verändern und welche die einzelnen Alterseigentümlichkeiten am
charakteristischsten hervortreten lassen. Der Mund ist von allen
Teilen des Gesichts derjenige, welcher auf die geringsten seelischen
Vorgänge, die sich in unserem Inneren abspielen, am feinsten
reagiert.“1) So kann man wohl den Satz Lavaters vom „Mund,
der immer spricht, wenn er auch immer schweigt“ gelten lassen.
Im Zusammenhang mit den gerade an der Schleimhaut der
Unterlippe geforderten und möglichen weitgehenden Anpassungen
der Gefäße erklärt sich der Reichtum der Formen und Anordnungen.
Aber gerade diese Fülle könnte zu Willkürlichkeiten der Deutung
verführen, wir müßten mißtrauisch werden gegen allzu „exakte“
Einzelbeziehungen. Es ist schon erstaunlich genug, wie im All-
gemeinen das Kapillarbild in seinem Gesamtcharakter, nach Ein-
b Krukenberg, Der Besichtsausdruck des Menschen. 3-/4. Aufl. 1923.
Bettmann:
Wir suchen Anlehnung bei der Physiognomik, die sich mit
dem Äußeren der Lippe beschäftigt, nicht nur soweit sie ebenso
die individuellen Unterschiede zurücktreten lassen muß hinter
Typisierungsversuchen, sondern weil wir eben dieselben Faktoren,
welche die Physiognomie der Gegend bestimmen, auch für die
Kapillarbilder heranzuholen haben. Also handelt es sich nicht nur
darum, etwa zu Tatsachen der Lippenform mit den Unterschieden
nach Breite und Höhe, genauerer Gestaltung des Lippensaumes,
besonderen Konfigurationen, Grübchenbildungen usw. das Aequi-
valentbild im Kapillarmikroskop zu suchen und festzustellen, wie-
weit dieses einen obligaten Teilbestand bestimmter Formungen
darstellt, sondern es wäre im Speziellen zu fahnden, wie sich be-
stimmte physiognomoplastische Kräfte ins Kapillarbild pro-
jizieren.
Wir hätten also nicht nur zu fragen, ob zu dem gewohnheits-
mäßig offenstehenden Mund, den zusammengepreßten Lippen, dem
vorgeschobenen Kiefer usw. bestimmte Kapillarbilder gehören,
sondern auch, ob eine bestimmte physiognomische Änderung ent-
sprechende Änderungen des Kapillarbildes zur Folge hat und sie
eventuell erzwingt. So werden am wichtigsten Bilder der Entwick-
lung. Ihr genaueres Studium ist eine mühselige, noch nicht abge-
schlossene Arbeit.
„Allgemein ergibt sich aus physiognomischen Studien, daß
die Kiefer mit den Zähnen diejenigen Teile des Gesichtes sind,
welche sich bei den verschiedenen Wachstumsperioden am meisten
verändern und welche die einzelnen Alterseigentümlichkeiten am
charakteristischsten hervortreten lassen. Der Mund ist von allen
Teilen des Gesichts derjenige, welcher auf die geringsten seelischen
Vorgänge, die sich in unserem Inneren abspielen, am feinsten
reagiert.“1) So kann man wohl den Satz Lavaters vom „Mund,
der immer spricht, wenn er auch immer schweigt“ gelten lassen.
Im Zusammenhang mit den gerade an der Schleimhaut der
Unterlippe geforderten und möglichen weitgehenden Anpassungen
der Gefäße erklärt sich der Reichtum der Formen und Anordnungen.
Aber gerade diese Fülle könnte zu Willkürlichkeiten der Deutung
verführen, wir müßten mißtrauisch werden gegen allzu „exakte“
Einzelbeziehungen. Es ist schon erstaunlich genug, wie im All-
gemeinen das Kapillarbild in seinem Gesamtcharakter, nach Ein-
b Krukenberg, Der Besichtsausdruck des Menschen. 3-/4. Aufl. 1923.