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Bettmann, Siegfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1930, 8. Abhandlung): Über Modellierungen des Gefäßendabschnittes, 1: Die Beziehung der Kapillarformen der Lippe zur Physiognomie — Berlin, Leipzig, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.43607#0019
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Über Modellierungen des Gefäßendabschnittes.

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Wir tun gewiß gut daran, für die Lippenkapillaren die Ab-
hängigkeiten von den lokalen mechanischen Bedingungen in den
Vordergrund zu rücken, mag dadurch auch gewiß nicht die Formungs-
frage erschöpft sein.
Die Beziehung zum formenden Einflüsse der mimischen Be-
wegungen ist zunächst nur an besonders eindrucksvollen Typen
zu verfolgen und subtile Unterschiede müssen beiseite bleiben.
Außerdem ist zu berücksichtigen, daß gerade für die Mimik und
ihre physiognomische Auswirkung am Munde zahlreiche Varianten
der Muskulatur in Betracht kommen, die sehr wesentliche indi-
viduelle Ausprägungen bedingen3) und denen individuelle Besonder-
heiten der lokalen Gefäßentwicklung, zumal gerade am Gefäßend-
abschnitt, entsprechen müssen.
Bei allem ergeben sich in überraschender Deutlichkeit unter-
scheidbare Typen. Ich beschränke mich hier darauf, einige bereits
gewonnene Ergebnisse kurz zu rekapitulieren. Komplizierte Gefäß-
ordnungen an der Lippenschleimhaut und Ausbildung von differen-
zierten Kapillarfluren vermissen wir so gut wie niemals bei starker
physiognomiscber Differenzierung. Es finden sich ausgesprochen
verfeinerte Bilder bei Menschen mit besonderen mimischen Lei-
stungen, zumal wenn diese von früh auf geübt sind. Manche
Schauspieler, Sprechkünstler, Mimiker, Kunstpfeifer, Musiker, die
Blasinstrumente beherrschen, usw. liefern uns solche eindrucksvolle
Befunde. Andererseits entspricht einer dauernden mimischen Armut
und physiognomischen Leere auch ein dürftiges Gesamtbild der
Kapillaren der Lippenschleimhaut. Besonders wichtig ist das
Studium von Entwicklungen und Rückbildungen.
Zu einer Besprechung der Entwicklungsbilder fehlt uns noch
die genügende Durcharbeitung des umfassenden Materials. Ich
beschränke mich auf einige Gesichtspunkte. Die Entwicklungs-
bilder der Kapillaren der Lippenschleimhaut sind zunächst zu der
Ausbildung der Arterien im Kindesalter in Beziehung zu setzen.
Sie müssen vor allem im Verhältnis zur Sprachentwicklung studiert
werden. Zugleich ist hier besonders auf pathologische Hemmungen
zu achten. Das führt beispielsweise auch auf Studien an Taub-
stummen und macht die Verfolgung von Einflüssen wünschenswert,
die sich beim Sprechenlernen Taubstummer erfassen lassen. Beim
Taubstummen haben wir es mit einem besonderen Gesichts aus druck

1) H. Virchow 1. c.
 
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