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P. Vogel:
zugeordnet sein. Nun wissen wir aber aus den optokinetischen Ver-
suchen, daß in diesen bei gleichbleibendem physikalischem Reiz
einmal eine optische Bewegungswahrnehmung auftreten kann (ich
in Ruhe, Rad und Streifen in Bewegung), ein andermal eine Vektion
meiner selbst (ich in Bewegung, Rad und Streifen in Ruhe). Maß-
gebend für die Wahl dessen, was ruhend, was in Bewegung erscheint,
ist also gar nicht die Tatsache, daß dieser oder ein anderer Rezeptor
gereizt wird. Sondern ausschlaggebend für den Effekt ist die in dem
Kreis Störung-Wahrnehmung-Motorik gegebene Situation, die wir
früher genauer beschrieben. Ähnlich liegen die Dinge bei vestibu-
lären Versuchen. Im passiven Drehversuch mit offenen Augen erlebt
man erst eine Drehung seiner selbst, während die Umwelt ruhend
erscheint, dann nach längerem Drehen, auch wenn keine Geschwin-
digkeitsänderung erfolgt, gerät die Umwelt in Bewegung und ich
ruhe. Auch dieser Versuch ist nicht einfach damit zu erklären, daß
die Labyrintherregung im Laufe der Drehung abklingt und so die
Drehempfindung erlischt; denn wir wissen dann noch nicht, warum
die Umwelt am Beginn des Versuches ruht und nachher sich dreht.
Zudem ist durch Buys und Fischer bekannt, daß auch bei völlig
gleichmäßigem Drehen des Stuhles immer wieder Drehempfmdungen
des eigenen Körpers auftreten können, daß also die physikalischen
Vorgänge der Endolymphbewegung allein kein ausreichendes Bild
des Drehversuches geben können. Auch in diesem Versuch sind
Situationsbestimmungen im vorher bezeichneten Sinne wesentlich
für das, was geschieht.
Aus alledem geht hervor, daß Bewegungswahrnehmungen nicht,
wie eine Sinnesmodalität in spezifischer Weise einer bestimmten
anatomischen Struktur verhaftet sein können, bei deren Erregung
sie auftreten und bei deren Ausfallen sie fehlen. In ihnen beziehen
wir uns ja auch nicht in erster Linie auf einen Gegenstand wie bei
den optischen, taktilen, akustischen Wahrnehmungen, sondern wir
erleben in ihnen eine Bewegung, d. h. eine bestimmte räumliche
Ordnung der Dinge zu uns oder umgekehrt. Wie man für den Raum-
sinn, an dem mehrere Sinne Anteil haben, kein Zentrum in der Be-
deutung eines Projektionszentrums annehmen kann, so ist auch kein
besonderes Zentrum der Drehempfmdungen und der Bewegungs-
wahrnehmungen zu postulieren. Dementsprechend kennt die
Hirnpathologie ein „Schwindelzentrum“ nicht. Entsprechende An-
nahmen konnten nicht gehalten werden. Auch Baranys Kon-
zeption der „Richtungszentren“, die in bezug auf motorische Vor-
P. Vogel:
zugeordnet sein. Nun wissen wir aber aus den optokinetischen Ver-
suchen, daß in diesen bei gleichbleibendem physikalischem Reiz
einmal eine optische Bewegungswahrnehmung auftreten kann (ich
in Ruhe, Rad und Streifen in Bewegung), ein andermal eine Vektion
meiner selbst (ich in Bewegung, Rad und Streifen in Ruhe). Maß-
gebend für die Wahl dessen, was ruhend, was in Bewegung erscheint,
ist also gar nicht die Tatsache, daß dieser oder ein anderer Rezeptor
gereizt wird. Sondern ausschlaggebend für den Effekt ist die in dem
Kreis Störung-Wahrnehmung-Motorik gegebene Situation, die wir
früher genauer beschrieben. Ähnlich liegen die Dinge bei vestibu-
lären Versuchen. Im passiven Drehversuch mit offenen Augen erlebt
man erst eine Drehung seiner selbst, während die Umwelt ruhend
erscheint, dann nach längerem Drehen, auch wenn keine Geschwin-
digkeitsänderung erfolgt, gerät die Umwelt in Bewegung und ich
ruhe. Auch dieser Versuch ist nicht einfach damit zu erklären, daß
die Labyrintherregung im Laufe der Drehung abklingt und so die
Drehempfindung erlischt; denn wir wissen dann noch nicht, warum
die Umwelt am Beginn des Versuches ruht und nachher sich dreht.
Zudem ist durch Buys und Fischer bekannt, daß auch bei völlig
gleichmäßigem Drehen des Stuhles immer wieder Drehempfmdungen
des eigenen Körpers auftreten können, daß also die physikalischen
Vorgänge der Endolymphbewegung allein kein ausreichendes Bild
des Drehversuches geben können. Auch in diesem Versuch sind
Situationsbestimmungen im vorher bezeichneten Sinne wesentlich
für das, was geschieht.
Aus alledem geht hervor, daß Bewegungswahrnehmungen nicht,
wie eine Sinnesmodalität in spezifischer Weise einer bestimmten
anatomischen Struktur verhaftet sein können, bei deren Erregung
sie auftreten und bei deren Ausfallen sie fehlen. In ihnen beziehen
wir uns ja auch nicht in erster Linie auf einen Gegenstand wie bei
den optischen, taktilen, akustischen Wahrnehmungen, sondern wir
erleben in ihnen eine Bewegung, d. h. eine bestimmte räumliche
Ordnung der Dinge zu uns oder umgekehrt. Wie man für den Raum-
sinn, an dem mehrere Sinne Anteil haben, kein Zentrum in der Be-
deutung eines Projektionszentrums annehmen kann, so ist auch kein
besonderes Zentrum der Drehempfmdungen und der Bewegungs-
wahrnehmungen zu postulieren. Dementsprechend kennt die
Hirnpathologie ein „Schwindelzentrum“ nicht. Entsprechende An-
nahmen konnten nicht gehalten werden. Auch Baranys Kon-
zeption der „Richtungszentren“, die in bezug auf motorische Vor-