Metadaten

Eichholtz, Fritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1935, 8. Abhandlung): Der biologische Gedanke in der naturwissenschaftlichen Medizin — Heidelberg, 1936

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43720#0018
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
18

Fritz Eichholtz : Der biologische Gedanke

Aber der forschende Menschengeist läßt sich nicht abspeisen
mit billigen Erklärungen. Er will den Vorgang der Krankheits-
heilung in seine Bestandteile zerlegt sehen. Er erfüllt damit eine
ethische Pflicht, getragen von der Hoffnung, daß durch eine
Aufdeckung des Wirkungsmechanismus auch solche Krankheiten
der Therapie zugängig werden, die bisher auf Obstkuren nicht
ansprechen.
Zum Schluß muß darauf hingewiesen werden, daß unter dem
Schutz der klassischen Ernährungslehre, die die Nahrungsstoffe
allein nach ihrem Kaloriengehalt bewertete, eine Revolution der
Volksernährung stattfand, wie sie die Welt noch nicht gekannt
hat. Die Einführung der Hochmüllerei und damit die Ausmahlung
des Getreidekorns, das Emporschießen einer Konservenindustrie
in allen Ländern der Welt, die Einführung neuer chemischer
und physikalischer Methoden der Konservierung und Sterilisierung
und viele andere Eingriffe haben eine Denaturierung der Nah-
rungsstoffe bewirkt, deren Folgen wir in den zunehmenden Er-
nährungsschäden vor uns haben.
Mit dieser industriellen Entwicklung verschwand das Vollkorn-
brot der Bauern, der morgendliche Hirse- und Haferbrei; die
biologischen Methoden der sauren Konservierung von Weißkraut,
Bohnen, Früchten wurden als unpraktisch und altertümlich em-
pfunden und entsprachen nicht mehr den modernen hygienischen
Anschauungen. Es hörte die Kenntnis der Küchenkräuter auf, an
ihre Stelle traten verlockende Fläschchen mit schönen Etiketten.
Die menschliche Bequemlichkeit feierte Triumphe. Die alte, wohl-
erprobte, durch viele Generationen bewährte Ernährungsweise
erhielt noch einen weiteren Stoß mit der Verdrängung des häus-
lichen Herdes durch das Gas. Jetzt erst wurden auch die letzten
liebevollen Rezepte, die sich bis dahin von einer Generation auf
die andere vererbt hatten, endgültig weggelegt.
Wenn endlich der Heimatschutz sich nicht mir anderer Denk-
mäler der arteigenen Lebenskultur sondern auch der ehrwürdigen,
aus der Erfahrung der Generationen entstandenen Ernährungs-
sitten annähme, so würde daraus ein unübersehbarer Nutzen
entstehen können.
Statt dessen haben die modernen Methoden der industriellen
Massenernährungeingesetzt, immer unter dem Schutz der klassischen
Ernährungslehre, die heute endgültig als einseitige Verirrung von
allgemein-verbindlichen biologischen Grundsätzen angesehen wer-
den muß.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften