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Eichholtz, Fritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1935, 8. Abhandlung): Der biologische Gedanke in der naturwissenschaftlichen Medizin — Heidelberg, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.43720#0029
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in der naturwissenschaftlichen Medizin

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offenbart. Er kann diese sinnvolle Planmäßigkeit der gesamten
Lebensvorgänge tief empfinden, und doch aus der Erfahrung
heraus der Überzeugung sein, daß die kausale Betrachtungsweise
uns schneller und sicherer weiter führt, und daß wir unseren
Kranken — mit ihrer Hilfe — in den weitaus meisten Fällen
schneller und besser helfen können. Das aber ist der einzige
unbestrittene Maßstab für unser ärztliches Handeln.
In neuerer Zeit hat Mittasch eine Theorie entwickelt, die die
Zweckmäßigkeit der Lebensäußerungen zurückführen möchte auf
bekannte Erfahrungen der Chemie, die im Katalysator das rich-
tunggebende, auswählende, lenkende Prinzip des chemischen Vor-
gangs erblickt, und dem nun auch in der lebenden Substanz eine
ähnliche Rolle zugeschrieben wird. In der kausalen Forschung
mag dieser Gedanke, möglicherweise schon in naher Zukunft,
sich als fruchtbar erweisen, da es sich hier um den Versuch
handelt, das gesammelte Wissen, die Methoden und das Hand-
werkszeug der katalytischen Chemie im Bereich des Lebenden
anzuwenden.
Der biologischen Denkweise ist dieser Gedanke aber wesens-
fremd. Denn im biologischen Geschehen sind alle Vorgänge, die
sich im Bereich der biologischen Anpassungsfähigkeit abspielen,
zweckgebunden und zielstrebig, auch diejenigen nicht-katalytischer
Natur.
Weil nämlich Umwelt und Innenwelt eine untrennbare Einheit
und Ganzheit bilden, so ist Leben nur denkbar, wenn die Kräfte
der Außenwelt gleichzeitig dienstbar sind dem Aufbau, den Funk-
tionen und dem Fortbestand des Lebenden.
Daher ist ein Naturgesetz der Außenwelt niemals das richtung-
gebende Prinzip für die Reaktion des Lebenden. Immer untersteht
es vielmehr der übergeordneten Instanz der biologischen Funk-
tionen, die sich in Sensibilität, Individualität, Anpassungsfähigkeit,
Organisation, Wachstum, Fortpflanzungsfähigkeit, Vererbung, Rasse,
Bewußtsein äußern, immer dient es der Ganzheitsidee der bio-
logischen Erscheinung. Das läßt sich insbesonders auch für die
katalytischen Vorgänge nachweisen. Wenn man daher versucht,
aus dem Heer der physikalischen und chemischen Kräfte und Ge-
setze, die der biologischen Zweckmäßigkeit dienstbar sind, den
Katalysevorgang als besonders zweckentsprechend hervorzuheben,
so ist das unvereinbar mit den Grundtatsachen der Biologie.
Chemie und Biologie sind nicht in dem Sinne miteinander
 
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