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Achelis, Johann Daniel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 3. Abhandlung): Die Ernährungsphysiologie des 17. Jahrhunderts: Festvortrag bei der Stiftungsfeier der Akademie am 22. Mai 1938 — Heidelberg, 1938

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https://doi.org/10.11588/diglit.43749#0004
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Johann Daniel Achelis

deckung einem grundsätzlichen Mißverstehen der Ansichten Galens
entsprang, und daß mit dieser Entdeckung antike Einsichten in
den Funktionszusammenhang der Organe verschüttet wurden, die
erst im Laufe der Jahrhunderte mühsam wieder gewonnen wurden.
Es erscheint daher in einem gewissen Sinne willkürlich, daß man
gerade Harvey als Mann des Fortschritts feiert und daneben
andere gleichfalls richtige Feststellungen kaum erwähnt. Sofern
man eben nicht nur die Form seiner Darstellung und Beweis-
führung, sondern auch seine Ergebnisse für maßgebend hält.
Neben Harvey ist es nach geläufiger Meinung Vesal, der
durch seine Durchführung der deskriptiven Anatomie des Menschen
die moderne Medizin begründete. Nicht erwähnt wird dabei, daß
bereits zu seiner Zeit gerade die „anatomia mortis“ als Fundament
der Medizin mit guten Gründen bezweifelt worden ist. Eine ganz
andere Anatomie, eine Ordnungslehre des Lebens, läuft neben
der deskriptiven anatomia mortis her, von der symbolischen Ana-
tomie des Mittelalters an bis zur Anatomie der extremen Mecha-
nisten, die freilich keine anatomia animata, aber doch eine anatomia
mechanisata, also doch eine bewegte Anatomie vertraten. Wir
sind im 19. Jahrhundert den Weg der reinen Deskription zu Ende
gegangen, und in unseren Tagen hat sich wohl durch die Ent-
wicklung der Anatomie zur experimentellen Wissenschaft die
endgültige Überwindung jener Anatomie Vesals vollzogen, ebenso
wie der Kreislauf Harveys nicht mehr als allein verbindliche
Darstellung der Kreislauffunktionen gelten kann.
Es erscheint mir in mehr als einer Hinsicht wichtig, daß heute,
im wesentlichen wohl durch die Forschung der letzten Jahrzehnte,
diese Säulen im Tempel des Fortschritts sich nicht mehr tragfähig
erweisen. Es ergibt sich daraus die Forderung an die Medizin-
geschichte nach einer Ausweitung des historischen Horizonts. Zum
mindesten ist heute die Geschichte der Entdeckungen, die verloren
gingen oder vergessen wurden, (und die zahlreicher sind als die,
welche gleichsam offiziell anerkannt sind) interessanter, als die
stereotyp wiederholte These von dem Erwachen des freien Geistes
nach einer Nacht des Aberglaubens, die durch die Jahrhunderte
oder Jahrtausende gedauert haben soll. Schließlich hat ja, was
oft übersehen wird, gerade die freie Mechanik in der Medizin
einen neuen Aberglauben begründet.
Jedenfalls kann Medizingeschichte heute nicht mehr mit dem
zu allen Zeiten bedenklichen Ziel der Selbstbestätigung betrieben
 
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