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Johann Daniel Achelis
bis weit über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus eine Unzahl
von Auflagen, Kommentierungen und Übersetzungen, ins Fran-
zösische, Englische, Italienische und Deutsche erlebt hat, dem also
offenbar von den verschiedensten medizinischen Schulen Bedeutung
beigemessen wurde. Auch heute gilt die Schrift als wichtig, weil
Sanctorio sich hier als der erste Jatrophysiker zeigen soll.
Bereits das Titelbild, das in allen Ausgaben wiederholt wird,
führt mitten in die Sache hinein. Es zeigt den Verfasser in einer
merkwürdigen Situation. Er sitzt auf einem von der Decke herab-
hängenden Stuhl, der die eine Waagschale einer großen Waage
bildet. In loco abdito, so berichtet er, wäre diese Sella aufgehängt
gewesen, weil die Ungebildeten nur allzuleicht diesen schwebenden
Zustand lächerlich finden könnten. Vor sich hat Sanctorio einen
frugal gedeckten Tisch. — Man sieht sofort, was gemeint ist:
Hier wird die Waage zum Maßstab der menschlichen Ernährung
gemacht. Es wird berichtet, daß Sanctorio 30 Jahre seines Lebens
so zugebracht habe, indem er zu Zeiten auch sein Bett auf der
Waage aufgeschlagen habe. Auch bei einigen Pausen, deren
Dauer umstritten ist, muß er recht ausführliche Erfahrungen so ge-
sammelt haben. Die sectiones der Aphorismen handeln dann
auch nacheinander von der ponderatio, de aere et aquis, de
cibo et poto, de somno et vigilia, de exercitio et quiete, de
venere, und de animi affectibus, und in allen Kapiteln spielt
die Wägung des Menschen die entscheidende Rolle. — Offenbar
eine medizinische Diätetik in der Form hippokratischer Aphorismen,
die sich übrigens in vielen, wenn auch nicht in allen Einzelheiten
als wirklich hippokratisch erweisen. Das ist leicht verständlich
gerade in Padua, das in der Fortbildung antiker Theorien eine
besondere Bedeutung hatte. Aber woher stammt die Waage,
die gleichsam als Symbol des menschlichen Lebens auftritt?
Quellenmäßig läßt sich die Frage überraschend einfach beant-
worten : Sanctorius hat in anderen Schriften noch zwei Instru-
mente in die Medizin eingeführt, nämlich eine Art Thermometer
und einen Pulsmesser, der nach dem Prinzip eines Pendels gebaut
war. Und gerade diese drei, Waage, Thermoskop und Pulsmesser,
haben damals in Padua keinen geringeren als Galilei beschäftigt,
der aus Pisa kam, wo er seine Fall- und Pendelversuche durch-
geführt hatte. Das Thermoskop Galileis, eine Art Luftthermo-
meter, wird, soweit ich feststellen konnte, noch heute in Padua
und übrigens auch in Florenz gezeigt. Jedenfalls besteht hier ein
Johann Daniel Achelis
bis weit über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus eine Unzahl
von Auflagen, Kommentierungen und Übersetzungen, ins Fran-
zösische, Englische, Italienische und Deutsche erlebt hat, dem also
offenbar von den verschiedensten medizinischen Schulen Bedeutung
beigemessen wurde. Auch heute gilt die Schrift als wichtig, weil
Sanctorio sich hier als der erste Jatrophysiker zeigen soll.
Bereits das Titelbild, das in allen Ausgaben wiederholt wird,
führt mitten in die Sache hinein. Es zeigt den Verfasser in einer
merkwürdigen Situation. Er sitzt auf einem von der Decke herab-
hängenden Stuhl, der die eine Waagschale einer großen Waage
bildet. In loco abdito, so berichtet er, wäre diese Sella aufgehängt
gewesen, weil die Ungebildeten nur allzuleicht diesen schwebenden
Zustand lächerlich finden könnten. Vor sich hat Sanctorio einen
frugal gedeckten Tisch. — Man sieht sofort, was gemeint ist:
Hier wird die Waage zum Maßstab der menschlichen Ernährung
gemacht. Es wird berichtet, daß Sanctorio 30 Jahre seines Lebens
so zugebracht habe, indem er zu Zeiten auch sein Bett auf der
Waage aufgeschlagen habe. Auch bei einigen Pausen, deren
Dauer umstritten ist, muß er recht ausführliche Erfahrungen so ge-
sammelt haben. Die sectiones der Aphorismen handeln dann
auch nacheinander von der ponderatio, de aere et aquis, de
cibo et poto, de somno et vigilia, de exercitio et quiete, de
venere, und de animi affectibus, und in allen Kapiteln spielt
die Wägung des Menschen die entscheidende Rolle. — Offenbar
eine medizinische Diätetik in der Form hippokratischer Aphorismen,
die sich übrigens in vielen, wenn auch nicht in allen Einzelheiten
als wirklich hippokratisch erweisen. Das ist leicht verständlich
gerade in Padua, das in der Fortbildung antiker Theorien eine
besondere Bedeutung hatte. Aber woher stammt die Waage,
die gleichsam als Symbol des menschlichen Lebens auftritt?
Quellenmäßig läßt sich die Frage überraschend einfach beant-
worten : Sanctorius hat in anderen Schriften noch zwei Instru-
mente in die Medizin eingeführt, nämlich eine Art Thermometer
und einen Pulsmesser, der nach dem Prinzip eines Pendels gebaut
war. Und gerade diese drei, Waage, Thermoskop und Pulsmesser,
haben damals in Padua keinen geringeren als Galilei beschäftigt,
der aus Pisa kam, wo er seine Fall- und Pendelversuche durch-
geführt hatte. Das Thermoskop Galileis, eine Art Luftthermo-
meter, wird, soweit ich feststellen konnte, noch heute in Padua
und übrigens auch in Florenz gezeigt. Jedenfalls besteht hier ein