Metadaten

Achelis, Johann Daniel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 3. Abhandlung): Die Ernährungsphysiologie des 17. Jahrhunderts: Festvortrag bei der Stiftungsfeier der Akademie am 22. Mai 1938 — Heidelberg, 1938

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43749#0013
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
13

Die Ernährungsphysiologie des 17. Jahrhunderts
und den Krampfbewegungen zu folgen. Sie bieten auch nichts
wesentlich Neues gegenüber dem bisher Dargestellten. Auf einen
Punkt muß aber noch hingewiesen werden: Jene Nahrungsteilchen,
die in die Organe hineingesaugt sind, werden erst zur lebenden
Form durch das fluidum nervorum. Von ihm geht das eigentlich
Belebende aus. Dieser Nervensaft kreist besonders kräftig im
Schlaf, und so erklärt es sich, dass auch ohne Nahrung der Körper
im Schlaf gekräftigt wird. Die Lehre von den trophischen Nerven
nimmt hier ihren Ursprung. Derselbe Nerveneinfluß ist auch die
letzte Ursache der tierischen Bewegung, mag sie sich nun in den
Skelettmuskeln oder im Herzen abspielen. Ein besonderes be-
lebendes Prinzip steckt in der ganzen leblosen Maschinerie. Und
dass Borelli auch dieses Prinzip kreisen läßt, verdeckt nur not-
dürftig die Tatsache, dass dieser dogmatische Mechanist im Grunde
ein echter Vitalist im Sinne des 19. Jahrhunderts war. Er muß
einen Spiritus rector, ein Lebensprinzip, wenn man will, einen
Theatermeister annehmen, der die ganze mechanische Szenerie
aufbaut und in Gang hält. Und aus diesem Grund war er wohl
auch an dem so naheliegenden Versuch des Nachweises der
Strömung in den Nerven so wenig interessiert. Ohne dies Fluidum
wäre wohl auch den Zeitgenossen dieser ganze Aufbau aus Zahn-
rädern, Hebeln, Seilzügen, Pendeln, dem Vakuum und den Kor-
puskeln als ein seltsamer Spuk erschienen. Und es ist wohl nur
folgerichtig, dass die Natur, die man mit Dogmen vertreibt, durch
eine Hintertür wieder heimlich in das System einzieht. Es gibt
wohl keinen Dogmatiker der Natur, dem das nicht in ähnlicher
Weise widerfuhr. Hier bei Borelli findet sich neben der extremen
Mechanik eine freilich etwas verzerrte aristotelische Entelechie ein.
Es ist beruhigend, wenn man erfährt, daß Borelli sich in
seiner ärztlichen Praxis um seine ganze kunstvolle Theorie über-
haupt nicht gekümmert hat. Hier in der praktischen Diätetik folgte
er getreulich wie so viele vor und nach ihm der hippokratischen
Überlieferung. Die Wissenschaft der Mechanik war wohl eine zu
hehre Beschäftigung, als daß sie sich in die Niederungen des
praktischen Lebens hätte begeben können. Der Gedanke, daß
auch Krankheit und Heilung Vorgänge der Natur sein könnten,
die zu untersuchen sich lohnt, ist ihm offenbar nie gekommen,
ebensowenig wie er den Appell des leidenden Menschen an den
forschenden Mediziner je vernommen hat. Ich glaube, manchem
von Ihnen wird dieser theoretische Hochmut auch heute noch
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften