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Achelis, Johann Daniel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 3. Abhandlung): Die Ernährungsphysiologie des 17. Jahrhunderts: Festvortrag bei der Stiftungsfeier der Akademie am 22. Mai 1938 — Heidelberg, 1938

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https://doi.org/10.11588/diglit.43749#0018
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Johann Daniel Achelis

zu Grunde liegende Ethos ein ganz andres ist als das des reinen
Forschers. Vielmehr handelt es sich darum, daß hier, — bei
Paracelsus so gut wie bei van Helmont und vielen späteren —
die Erkenntnis maßgebend war, daß vom Menschen ein verant-
wortliches (in unserem Falle ärztliches) Handeln gefordert ist.
Und diese Verantwortung kann — das ist die Überzeugung dieser
naturforschenden Ärzte — nur dann übernommen werden, wenn
die Naturerkenntnis an die Wahrheit heranführt, ungetrübt durch
den Sinnentrug, dem die Antike verfiel, und die philosophierende
Ratio, der viele Systematiker erlagen.
Diese weltanschaulich-ethische Haltung ist bei Helmont wirk-
sam. Er verwirft nicht Galen wegen einer Sünde wider den Geist,
sondern wegen eines Verstoßes gegen das menschliche Sitten-
gesetz, das die Menschen zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet.
Galen irrt nicht nur in der Erforschung der Natur, sondern vor
allem deshalb, weil sich seine Lehre in der Medizin nicht bewährt.
Die Wahrheit der damals geltenden Medizin wird also durch van
Helmont viel tiefer weltanschaulich in Frage gestellt, als es in
den unablässigen Systemkämpfen der vergangenen Jahrhunderte
je geschah.
Von der Wissenschaft wird eine doppelte Bewährung verlangt.
Sie hat einmal ihren Glauben an die Unbestechlichkeit der Natur
unter Beweis zu stellen. Die Natur ist von Gott geschaffen und
kann deshalb von keiner systematisierenden Ratio vollständig
erfaßt werden. Hier gilt nur eins: Die freie und unbefangene
Aufnahme alles Gegebenen, wie es nun einmal ist. Gewiß ist
für Helmont wie für die Neuplatoniker die ganze Natur belebt.
Aber es gilt, Organisches und Anorganisches, jedes nach seinen
eigenen Regeln, zu erfassen: in der anorganischen Natur bleiben
die spezifischen Kräfte auch nach der Zerstörung der Form er-
halten, im Organischen entstehen und vergehen sie mit der
lebenden Form.
Die medizinische Wissenschaft hat sich aber auch zu bewähren
im ärztlichen Handeln. Die Wahrheit der Medizin beruht hier
nicht nur in der vorurteilslosen Erforschung, sondern in der Er-
füllung bestimmter Forderungen, die an den Arzt gestellt sind.
Und dieser doppelten Bewährung glaubte van Helmont seine
Naturlehre unterwerfen zu müssen. Es bedarf keines besonderen
Beweises, daß aus dieser weltanschaulichen Wurzel die Grund-
gedanken seiner Ernährungslehre entspringen.
 
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