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Rodenwaldt, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1939, 2. Abhandlung): Frühzeitige Erkennung und Bekämpfung der Heeresseuchen — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.43760#0004
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Ernst Roden WALDT: Frühzeitige Erkennung
des Magens und Darmes“ und unter „Grippe“ geführt wurden
und daß man erst in den Lazaretten die Diagnosen stellte, bei
Typhus z. B. in der vierfach höheren Zahl als bei der Truppe.
Aber auch in den Lazaretten hat es häufig geraume Zeit gedauert,
bis die Diagnose gesichert war. Daher eben die Notwendigkeit
des obigen Befehls.
War die Verzögerung der Typhusdiagnose in der Tat auf die
Schutzimpfung zu beziehen? Ich meine nicht.
Wenn jede Seuchengesetzgebung das Ziel aufstellt, es müßten,
wenn irgend möglich, stets die ersten Fälle erfaßt werden, es
müsse aus diesem Grunde eben auch jeder Verdachtsfall ge-
meldet werden, so ist diese Forderung utopisch.
Das Krankheitsgeschehen verläuft nicht unter dem Bilde einer
chemischen Reaktion. Die Reaktion auf den Infekt kann die
Krankheit sein, sie muß es nicht sein, wie das bei der chemi-
schen Reaktion wohl der Fall ist. Die Vielfältigkeit der zusammen-
wirkenden Kräfte von Angriff und Abwehr wirkt sich für jedes
einzelne Symptom wie für das aus ihnen zusammengesetzte Bild
nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit aus. Darzustellen ist
das, wie jedes biologische Geschehen, in der Form der Zufalls-
kurve.
Der klassische Fall ist zwar nicht eine Ausnahme, aber er ist
doch in einem bestimmten, bei den verschiedenen Infektions-
kranheiten und in jeder ihrer Epidemien verschiedenen, größeren
oder kleineren Prozentsatz vertreten. Links und rechts von ihm
im Bereich der Kurve liegen die abortiven Fälle und die fulmi-
nanten Fälle, bei denen wegen der Geringfügigkeit der Symptome
oder der Schnelligkeit des Ablaufs eine Diagnose nicht gestellt
werden kann.
Nie ist mir das lehrreicher, eindrucksvoller zum Bewußtsein
gekommen als bei dem ersten Cholerafall, den ich im Kriege sah.
Jener türkische Soldat hatte keine „vox rauca“, keine tiefliegen-
den, dunkel umränderten Augen, keine Waschfrauenfinger, kei-
nen kahnförmig eingezogenen Bauch, und er hatte auch keine
Reiswasserstiihle, also nichts von den klassischen Cholerasymp-
tomen, sondern nur eine einfache Enteritis. Aber der Stuhl ent-
hielt massenhaft Choleravibrionen, und die Kultur in Peptonwasser
ergab schon nach 8 Stunden mit der größten Wahrscheinlichkeit,
daß es sich um Cholera handeln müsse.
Und es war zwar der erste Fall, bei dem die Diagnose über-
 
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