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Völkische Verwurzelung der Wissenschaft
Zugleich sehen wir bei den beiden Mathematikern Dedekind
und Weierstrass, die der erste Eindruck so nahe zueinander
stellte, doch einen erheblichen Unterschied in der Auffassung und
der Art, die Dinge anzugreifen. Wenn der erste Eindruck, ich
habe das manchmal sagen hören, sogar dazu neigt, Dedekind
in größere Nähe zu den S-Typen zu stellen als Weierstrass, so
kann meines Erachtens- davon gar keine Rede sein. Man wird
das abwegige dieser Auffassung auch daran erkennen können,
daß die größten Zahlentheoretiker des neunzehnten Jahrhunderts
Deutsche waren: Gauss, Kummer, Dedekind, Hilbert, jeder in
seiner Weise ein Wegweiser. Daß man keinen der vier zu den
S-Typen rechnen kann, dürfte klar sein. Freilich ist nicht zu ver-
kennen, daß die Schlußweisen, durch die namentlich Dedekind
seine Theorie aufbaut, eben als Schlußweisen auf S-Typen einen
eigentümlichen Reiz ausgeübt haben und ausüben. In der Tat,
wenn man intellektuell veranlagt vor einer großen Leistung steht,
so wird man geneigt sein, sich zuerst um den Apparat des
Meisters zu kümmern, in der Hoffnung, nach Bereitstellung des
Apparates es auch dem Meister an Erfolg gleich tun zu können.
Der Unterschied ist nur der, daß der Meister den Apparat ange-
sichts einer bestimmten Problemlage geschaffen hat, und daß es
noch keine inhaltliche Leistung ist, den Apparat losgelöst von
dem Problem zu beschreiben, zu untersuchen und in Tätigkeit zu
setzen. Und vollends, wenn Dedekind wirklich wie die S-Typen
frei in die Luft hätte bauen wollen, wie wäre dann die inner-
liche Verwandtschaft zu verstehen, die Dedekind für Riemann’s
Art in seinen Bemerkungen zu dessen Arbeiten bekundet hat?
Ich weiß wohl, daß Jaensch einen engen Zusammenhang
zwischen tuberkulösen Prozessen und S-typischem Denken ge-
funden hat. Doch gibt er selbst zu, daß es da Ausnahmen gäbe.
Man wird, ebensowenig wie Schiller, die großen tuberkulösen
Mathematiker Riemann und Abel zu den S-Typen rechnen wollen.
Wenn irgend die Überbewertung der Erkenntnissicherheit zu den
Merkmalen des S-Typus gehört, so ist Riemann weit davon ent-
fernt. Denn in die Augen springend ist neben dem Streben nach
Gewißheit des Erkennens seine rege Phantasie und die intuitive
Klarheit, mit der er seine inhaltlich und anschaulich gleich reichen
Theorien entwickelt. Man wird Riemann, der in seinem Werk
kind einen Bruch der Einheitlichkeit, auf die Dedekind im Gegensatz zu
Hurwitz Wert legt.
Völkische Verwurzelung der Wissenschaft
Zugleich sehen wir bei den beiden Mathematikern Dedekind
und Weierstrass, die der erste Eindruck so nahe zueinander
stellte, doch einen erheblichen Unterschied in der Auffassung und
der Art, die Dinge anzugreifen. Wenn der erste Eindruck, ich
habe das manchmal sagen hören, sogar dazu neigt, Dedekind
in größere Nähe zu den S-Typen zu stellen als Weierstrass, so
kann meines Erachtens- davon gar keine Rede sein. Man wird
das abwegige dieser Auffassung auch daran erkennen können,
daß die größten Zahlentheoretiker des neunzehnten Jahrhunderts
Deutsche waren: Gauss, Kummer, Dedekind, Hilbert, jeder in
seiner Weise ein Wegweiser. Daß man keinen der vier zu den
S-Typen rechnen kann, dürfte klar sein. Freilich ist nicht zu ver-
kennen, daß die Schlußweisen, durch die namentlich Dedekind
seine Theorie aufbaut, eben als Schlußweisen auf S-Typen einen
eigentümlichen Reiz ausgeübt haben und ausüben. In der Tat,
wenn man intellektuell veranlagt vor einer großen Leistung steht,
so wird man geneigt sein, sich zuerst um den Apparat des
Meisters zu kümmern, in der Hoffnung, nach Bereitstellung des
Apparates es auch dem Meister an Erfolg gleich tun zu können.
Der Unterschied ist nur der, daß der Meister den Apparat ange-
sichts einer bestimmten Problemlage geschaffen hat, und daß es
noch keine inhaltliche Leistung ist, den Apparat losgelöst von
dem Problem zu beschreiben, zu untersuchen und in Tätigkeit zu
setzen. Und vollends, wenn Dedekind wirklich wie die S-Typen
frei in die Luft hätte bauen wollen, wie wäre dann die inner-
liche Verwandtschaft zu verstehen, die Dedekind für Riemann’s
Art in seinen Bemerkungen zu dessen Arbeiten bekundet hat?
Ich weiß wohl, daß Jaensch einen engen Zusammenhang
zwischen tuberkulösen Prozessen und S-typischem Denken ge-
funden hat. Doch gibt er selbst zu, daß es da Ausnahmen gäbe.
Man wird, ebensowenig wie Schiller, die großen tuberkulösen
Mathematiker Riemann und Abel zu den S-Typen rechnen wollen.
Wenn irgend die Überbewertung der Erkenntnissicherheit zu den
Merkmalen des S-Typus gehört, so ist Riemann weit davon ent-
fernt. Denn in die Augen springend ist neben dem Streben nach
Gewißheit des Erkennens seine rege Phantasie und die intuitive
Klarheit, mit der er seine inhaltlich und anschaulich gleich reichen
Theorien entwickelt. Man wird Riemann, der in seinem Werk
kind einen Bruch der Einheitlichkeit, auf die Dedekind im Gegensatz zu
Hurwitz Wert legt.