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Gleiter, Rolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1993/1994, 5. Abhandlung): Spannende und gespannte Moleküle: vorgelegt in der Sitzung vom 7. Mai 1994 — Berlin, Heidelberg [u.a.]: Springer, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48140#0008
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Rolf Gleiter

Die Beobachtung, nach der Sechsringe häufig gebildet werden, Drei- und Vier-
ringe dagegen seltener, führte 1885 A. von Baeyer zu seiner Spannungstheorie171.
Aufgrund einfacher geometrischer Überlegungen schloß er, daß die Abweichungen
vom Tetraederwinkel beim Cyclopropan 24°,44', beim planaren Cyclobutan 9°,44',
beim planaren Cyclopentan 0°,44' und beim planaren Cyclohexan 5°, 16' sein soll-
ten (vgl. Formel 1). Diese Abweichungen verursachen eine zusätzliche Spannung
im Molekül. Als kurz darauf W. H. Perkin zeigte, daß Fünfringe leicht herzustellen
und stabil sind, wertete dies v. Baeyer als Erfolg seiner Theorie.
Die Chemiker Sachse (1890)[8] und Mohr (1918)[9] erweiterten die Baeyersche
Spannungstheorie dadurch, daß sie auch nichtplanare Formen zuließen. So kann der
Sechsring in einer Sesselform spannungsfrei sein, ähnlich wie auch höhergliedrige
Ringe. Diese Erkenntnisse wurden von den Chemikern nur sehr widerstrebend
akzeptiert.
Beiträge zur Molekülspannung
Seit der Spannungstheorie A. von Baeyers und der Synthese der ersten gespannten
Kohlenwasserstoffe sind über 100 Jahre vergangen. In dieser Zeit wurden unsere
Vorstellungen von der Spannung der Moleküle stark erweitert und verfeinert.1101
Durch die exakte Messung der Verbrennungswärme einer organischen Verbin-
dung und die daraus berechnete Bildungswärme lassen sich Zahlen für Spannungs-
energien erhalten. Die Spannungsenergie ist eine relative Größe und wird definiert
als Differenz der Bildungswärme zwischen dem gespannten Molekül und dem eines
spannungsfreien Moleküls mit derselben Zahl und Anordnung von Atomen. Exakte
Zahlen für Cyclopropan und Cyclobutan lagen erst 1949 bzw. 1950 vor. Solche
Zahlen erlaubten es, das Konzept der Spannung zu erweitern.
Man unterscheidet heute zwischen Baeyerscher Winkelspannung, Spannung
durch Bindungslängenänderung, Torsionsspannung und nichtbindenden Wechsel-
wirkungen, sie hängen voneinander ab (vgl. Abb. 1).
Die Torsionsspannung kommt dadurch zustande, daß die Stellung der H- Atome
„auf Lücke“ im Ethan gegenüber der sogenannten „verdeckten“ Stellung um 3 kcal
günstiger ist.
Die nicht bindende Wechselwirkung verursacht beim Propan eine Winkel-
aufweitung am zentralen Kohlenstoff auf 112° und beim s-cis-Butan beträgt der
C-C-C Winkel 116° infolge nichtbindender Wechselwirkung. Dieselbe Wechselwir-
kung ist auch die Hauptursache dafür, daß sich Cycloalkane der Ringgröße Cg- C12
relativ mühsam darstellen lassen. Die in das Innere gerichteten H-Atome des
Cyclooctans und des Cyclodecans führen zu einer Abstoßung (vgl. Formel 2).

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