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Lenard, Philipp; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1910, 16. Abhandlung): Über Äther und Materie: Vortrag ... — Heidelberg, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.37042#0004
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P. Lenard:

Beispiele solcher Bilder sind: NEWTONS Gravitationsgesetz oder
MAXWELLS Gleichungen der Elektrodynamik. Die denknot-
wendigen Folgen der Bilder, in deren Entwicklung die Benutzung
und zugleich die Prüfung der Bilder besteht, sind dann die mathe-
matischen Folgen jener Gleichungen, und auch weiter nichts.
Man kann aber weitergehen — und dies ergibt die zweite
Art der Bilder —, indem man sich von einer Überzeugung leiten
läßt, ohne welche die Naturforschung sicherlich nie Erfolg ge-
habt hätte. Von der Überzeugung nämlich, daß alle Vorgänge
in der Natur — in der unbelebten Natur wenigstens — bloße
Bewegungsvorgänge sind, das ist nur in Ortsveränderungen ein
für allemal gegebenen Stoffes bestehen. Dann würde es sich
in jedem Falle um Mechanismen handeln und die Gleichungen,
welche wir uns als Bilder erster Art gemacht haben, müssen
Gleichungen der Mechanik sein, sie müssen ganz bestimmten
Mechanismen entsprechen, und dann können wir auch geradezu
diese Mechanismen als die Bilder betrachten, die wir uns von
den Naturvorgängen gemacht haben. Wir haben dann
mechanische Modelle, dynamische Modelle der Dinge als Bilder
derselben in unserem Geiste. Die mechanischen Modelle und
die Gleichungen, also die beiden Bilderarten, sind, wenn sie
beide richtige Bilder sind, einander in den Resultaten, welche
sie ergeben, volikommen äquivalent. Dabei aber haben die Modelle
einen sehr großen Vorzug vor den bloßen Gleichungen. Nicht
nur daß sie mehr Befriedigung geben, weil wir in dem Modell
ein Bild haben, das sehr viel unmittelbarer auf die abgebildete
Außenwelt sich bezieht als die Differentialgleichung, sondern vor
allem gestatten uns die Modelle bei ihrer Benutzung nicht nur
unser mathematisches Denkvermögen zu verwerten, sondern auch
unsere geometrische und dynamische Anschauung; denn die
Modelle sind Mechanismen, welche im dreidimensionalen Raum
sich bewegen. Dies ist von besonderer Wichtigkeit dann, wenn
wir nicht mit schon fertigen Rildern arbeiten, um damit un-
zweifelhaft zutreffend zukünftige Erscheinungen vorauszusage-n,
sondern wenn es sich um probeweise Vorhersagen mit probeweise
gemachten Bildern handelt, das ist bei der Erforschung der
Natur. So sind z. B. die Strukturformeln der Chemie, namentlich
seit sie auch dreidimensional gedacht werden, echte solche
Modelle der Moleküle, üm deren Untersuchung es sich handelt.
Wie würde der Chemiker Erfolg haben, wenn er nicht in diesen
 
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