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A. Kossel:
Nun ist es möglich, den Farbstoffgehalt durch chemische
Methoden festzustellen und hierbei haben sich bedeutende Schwan-
kungen ergehen, z. B. hat sich gezeigt, daß die wildwachsende
Kornblume 0,7°/0des blauen Farbstoffs „Cyanin“ enthält, während
in einer veredelten Sorte 14°/0 gefunden wurden.
Schon bevor durch diese Arbeiten eine klare Einsicht in das
Wesen der Blütenfarbstoffe gegeben wurde, waren Vererbungs-
erscheinungen auf diesem Gebiete — ebenso auch bei Oberflächen-
farben von Säugetieren — bekannt, welche darauf hinweisen, daß
der Chemie eine grundlegende Bedeutung für die wissenschaftliche
Bearbeitung dieser Erscheinungen zukommt. In den meisten Fällen
geht der Farbstoff aus einer ungefärbten Muttersubstanz, einem
„Chromogen“ hervor, welche durch eine chemische Einwirkung in
den gefärbten Körper umgewandelt wird. Es muß also außer dem
Chromogen noch eine zweite Substanz da sein, welche die Um-
wandlung vermittelt; wenn eine Pflanze nur einen der beiden Stoffe
enthält, entbehren die Blüten des natürlichen Farbentons, sie können
also weiß sein. Auf Grund solcher Beobachtungen und Erwägungen
hat man die eigentümliche Erscheinung erklärt, daß es mehrere
Typen des Löwenmauls (Antirhinum) gibt, von denen einer farblos,
ein anderer elfenbeinfarben ist; daß aber bei der Kreuzung beider
ein rot blühender Bastard erzeugt wird. Durch die eine
der Elternpflanzen soll nach den Untersuchungen von Wheldale
ein Glykosid, die Muttersubstanz des Farbstoffs, durch die andere
ein Ferment eingeführt sein, welches aus dem Glykosid den Farb-
stoff entstehen läßt. Die Fähigkeiten zur Erzeugung jeder dieser
beiden miteinander reagierenden Stoffe sind als Erbfaktoren zu
betrachten und sie folgen als solche den von Mendel erkannten
Gesetzen.
Diese und ungezählte andere Erbfaktoren werden bei der
Befruchtung übertragen und müssen also in dem befruchteten Ei
in kleinster Dimension niedergelegt sein. Wir können uns heute
kaum eine andere Vorstellung von der Festlegung so vieler Form
und Stoff bestimmender Anlagen auf engstem Raum machen, als
dadurch, daß wir sie auf die Lagerung der Moleküle und Atome
beziehen. Der Vorstellungskreis der Chemie bietet uns eine uner-
schöpfliche Kombinationsmöglichkeit in Räumen, die nach kleinsten
Bruchteilen eines Kubikmillimeters zu bemessen sind. Ich will nur
daran erinnern, daß ein Eiweißmolekül ungefähr so viele Bausteine
enthalten kann, wie es Buchstaben im Alphabet gibt, daß aber
A. Kossel:
Nun ist es möglich, den Farbstoffgehalt durch chemische
Methoden festzustellen und hierbei haben sich bedeutende Schwan-
kungen ergehen, z. B. hat sich gezeigt, daß die wildwachsende
Kornblume 0,7°/0des blauen Farbstoffs „Cyanin“ enthält, während
in einer veredelten Sorte 14°/0 gefunden wurden.
Schon bevor durch diese Arbeiten eine klare Einsicht in das
Wesen der Blütenfarbstoffe gegeben wurde, waren Vererbungs-
erscheinungen auf diesem Gebiete — ebenso auch bei Oberflächen-
farben von Säugetieren — bekannt, welche darauf hinweisen, daß
der Chemie eine grundlegende Bedeutung für die wissenschaftliche
Bearbeitung dieser Erscheinungen zukommt. In den meisten Fällen
geht der Farbstoff aus einer ungefärbten Muttersubstanz, einem
„Chromogen“ hervor, welche durch eine chemische Einwirkung in
den gefärbten Körper umgewandelt wird. Es muß also außer dem
Chromogen noch eine zweite Substanz da sein, welche die Um-
wandlung vermittelt; wenn eine Pflanze nur einen der beiden Stoffe
enthält, entbehren die Blüten des natürlichen Farbentons, sie können
also weiß sein. Auf Grund solcher Beobachtungen und Erwägungen
hat man die eigentümliche Erscheinung erklärt, daß es mehrere
Typen des Löwenmauls (Antirhinum) gibt, von denen einer farblos,
ein anderer elfenbeinfarben ist; daß aber bei der Kreuzung beider
ein rot blühender Bastard erzeugt wird. Durch die eine
der Elternpflanzen soll nach den Untersuchungen von Wheldale
ein Glykosid, die Muttersubstanz des Farbstoffs, durch die andere
ein Ferment eingeführt sein, welches aus dem Glykosid den Farb-
stoff entstehen läßt. Die Fähigkeiten zur Erzeugung jeder dieser
beiden miteinander reagierenden Stoffe sind als Erbfaktoren zu
betrachten und sie folgen als solche den von Mendel erkannten
Gesetzen.
Diese und ungezählte andere Erbfaktoren werden bei der
Befruchtung übertragen und müssen also in dem befruchteten Ei
in kleinster Dimension niedergelegt sein. Wir können uns heute
kaum eine andere Vorstellung von der Festlegung so vieler Form
und Stoff bestimmender Anlagen auf engstem Raum machen, als
dadurch, daß wir sie auf die Lagerung der Moleküle und Atome
beziehen. Der Vorstellungskreis der Chemie bietet uns eine uner-
schöpfliche Kombinationsmöglichkeit in Räumen, die nach kleinsten
Bruchteilen eines Kubikmillimeters zu bemessen sind. Ich will nur
daran erinnern, daß ein Eiweißmolekül ungefähr so viele Bausteine
enthalten kann, wie es Buchstaben im Alphabet gibt, daß aber