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Kossel, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1921, 1. Abhandlung): Über die Beziehung der Biochemie zu den morphologischen Wissenschaften: Rede ... — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.41199#0003
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Wenn ein Chemiker das Wesen einer organischen Substanz
erkennen will, so stellt er zunächst fest, welche Atome in dieser
Substanz vorhanden sind und weiterhin sucht er die räumliche An-
ordnung dieser Atome zu erfahren. Er betrachtet also die Substanz
als ein Atomgebäude und er strebt danach ein Modell dieses Atom-
gebäudes zu konstruieren. Dieses Raumbild ist ein kurzer Ausdruck
für eine Reihe von Erfahrungen, die er bei der Untersuchung der
Substanz gesammelt hat und wenn er ein solches Bild gewonnen
hat, so kann er daraus die wichtigsten Eigenschaften der Substanz,
ihr Verhalten gegenüber anderen Substanzen und ihre Stellung im
chemischen System ableiten. Die Substanz ist ihm jetzt eine be-
kannte Person, deren Fähigkeiten er kennt und deren Handlungs-
weise unter gewissen Verhältnissen er Voraussagen kann.
Dies gilt auch für diejenigen Substanzen, welche als chemische
Bestandteile im Körper der Tiere und der Pflanzen gefunden werden.
Diese sind gewissermaßen die handelnden Personen bei denVorgängen,
die sich im lebenden Organismus abspielen, und darum ist ihre Er-
forschung eine der ersten und wichtigsten Aufgaben unserer Wis-
senschaft.
Die Arbeit des Biochemikers gipfelt also zunächst in der Be-
schreibung der inneren Gestaltung dieser tierischen und pflanzlichen
Stoffe, ihres Atomgefüges, also in einer Arbeit, die unsere Raum-
vorstellungen zu Hülfe nimmt. Diese räumliche Betrachtungsweise
schließt sich an die des Anatomen an. Wo die Zergliederung mit
den mechanischen Hilfsmitteln des Anatomen aufhört, da fängt
allmählich die chemische Zergliederung an und wo dem Sehen mit
dem leiblichen Auge und mit den optischen Hilfsmitteln eine Grenze
gesetzt ist, da versuchen wir mit den Hilfsmitteln der Chemie tiefer
in die Gestaltung einzudringen. Das Grenzgebiet ist die Colloid-
chemie.
Die beschreibende Chemie der lebenden Teile kann somit als
eine Fortsetzung der Morphologie in das Reich der kleinen Dimen-
sionen angesehen werden und es ist wohl der Gedanke berechtigt,

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