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Kossel, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1921, 1. Abhandlung): Über die Beziehung der Biochemie zu den morphologischen Wissenschaften: Rede ... — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.41199#0004
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A. Kossel:

beide Wissenszweige mit denselben geistigen Hilfsmitteln in zusam-
menfassender Weise zu bearbeiten.
Die leitenden Gesichtspunkte für solche gemeinsamen Bestre-
bungen sind von der Anatomie gegeben. Diese ist die ältere Wissen-
schaft: ihre Ergebnisse konnten schon seit J.dirhunderten festgestellt
und geistig verarbeitet werden, während die beschreibende Chemie
der Gewebe sich heute erst in den Anfängen ihrer Entwicklung
befindet. Das ist leicht verständlich — denn der Biochemiker muh
die Form, welche der Anatom ohne Weiteres schaut, erst auf Grund
theoretischer Anschauungen aus den Ergebnissen mühsamer langer
analytischer Arbeit konstruieren.

Der Heidelberger Anatom Gegenbauer hat bei einer Erörterung
über die leitenden Gesichtspunkte anatomischer Untersuchung ge-
sagt, daß die Anatomie, sofern sie sich nur beschreibend verhält
und die Befunde der Untersuchung schildert, ohne aus denselben
weitere Schlüsse zu ziehen, des Charakters einer Wissenschaft ent-
behre. „Anders gestaltet sich die Anatomie, sobald ihr die Kenntnis
von Tatsachen nur Mittel ist, die aus einer Summe solcher Kennt-
nisse erschlossene Erkenntnis dagegen Zweck.“
Welches sind nun die Schlüsse, die wir aus den anatomischen
Kenntnissen ziehen können? Die nächste und selbstverständliche
Folgerung bezieht sich auf die Funktion der Teile. Daß die
anatomische Kenntnis die Grundlage bildet für das Verständnis
wichtiger Teile der Nerven- und Muskelphysiologie, des Blutkreis-
laufs, der Atmung und anderer Lebensvorgänge bedarf keiner Er-
klärung. Betrachten wir doch kaum jemals eine organische Ge-
staltung ohne daran zu denken, wozu sie da ist.
Ebenso selbstverständlich ist es auch, daß wir an die Betrach-
tung der chemischen Gebilde, die wir in der lebenden Substanz
vorfinden, die Frage nach ihrer Bedeutung für die Lebensprozesse
anknüpfen. So haben die Untersuchungen über den roten Farb-
stoff des Blutes gezeigt, daß er der Übertragung des Sauerstoffs
aus der Lunge oder aus analogen Organen auf andere Teile des
Körpers dient. So hat man erkannt, daß andere chemische Gebilde
als Kräh quellen oder Energie Vorräte in den lebenden Zellen auf-
gespeichert sind, andere endlich als Fermente die Zersetzung der
Nahrungsstoffe und die Aufschließung der Vorratskammern bewirken.
 
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