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Hellpach, Willy [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1921, 2. Abhandlung): Das fränkische Gesicht, Folge 1 — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.41200#0014
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14 (B. 2)

Willy Hellpach:

T atbestände in der organischen Welt. Es handelt sich immer
um Mitbestimmung. Jeder überkommt ein physiognomisches
„Gerüst“, mit dem er sich abzufinden hat: die Erbphysiogno-
mie. Eine Hakennase wird durch keine mimische Macht der Erde
zu einem Stumpfnäschen, eine hohe, gewölbte Stirn niemals zu
einer niedrigen, fliehenden, sowenig wie braune Augen zu blauen
oder eine enge Lidspalte zu einer weiten. In dieses erbphysio-
gnomische Gerüst aber modelliert das persönliche Leben und Er-
leben mittels der mimischen Funktionen die Ausdrucksphysio-
gnomie. Die ausclrucksphysiognomische Plastizität der Erbphysio-
gnomie, namentlich ihrer knöchernen Elemente, verringert sich
naturgemäß mit wachsendem Alter und ist überhaupt in der unteren
Gesichtshälfte stärker als in der oberen. In dieser bildet das Auge
mit seiner nächsten Umgebung ihr Angriffs- (und Erfolgs-)Zentrum;
in jener die Mundpartie, deren plastisches Kraftfeld aber viel aus-
gedehnter ist, nach oben bis zu den Jochbögen, nach hinten bis
zu den Unterkieferwinkeln, nach abwärts bis zum Adamsapfel
reicht, soweit unmittelbare Zugwirkungen in Frage kommen —
an der endgültigen Formgebung haben aber auch die mittelbaren
Wirkungen wichtigen Anteil, z. B. der Anschein einer vorsprin-
genden Nase bei stark zurücktretendem Oberkiefer oder der (durch
Messung widerlegbare) Anschein einer weiteren Lidspalte (eines
„großen Auges“) infolge von stark exkursiven Bewegungsgewohn-
heiten der Recti in- und externi des Augapfels. Die Physiognomo-
plastik durch die Sprechweise ist seit langem bekannt9 und bietet
geläufige Beispiele in der raschen und charakteristischen Angli-
sierung jugendlicher Gesichter beim längeren Aufenthalt in Län-
dern englischer Zunge, aber das beständige Mienenspiel, das die
seelische Erlebnisdynamik uns aufprägt oder die stündliche Kon-
vention des Umgangs uns aufnötigt, wirkt wohl leiser, zarter, im-
ponderabler, jedoch ununterbrochener und damit womöglich noch
ergebnisreicher. Die Einzelheiten harren hier noch durchaus der
Durchforschung seitens einer funktionellen Morphologie des Ge-
sichts, in der wir auch heute über die klassischen Grundlegungen
Darwins, Duchennes und Gratiolets10 kaum hinaus sind.
23. Für unsern Zweck genügt es, sich über die elementarsten
Wirkungen der formalen mimischen Tatbestände klar zu sein,
ohne Ansehung der möglichen Wirkungen besonderer mimischer
Qualitäten. Geringe Bewegtheit des Mienenspiels und des Sprech-
apparates wird geringe Faltung, Furchung, Zerrung, überhaupt
 
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