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W. Windelband:
tischen Vernunft hindurch zu der Untersuchung der übrigen
Kulturbereiche fortschreitet, der Kunst, des Rechts, der geschicht-
iichen Entwicklung, der Religion — um so mehr verschiehen sich
die empirischen Vorlagen und Grundlagen seiner Kritik aus dem
psychologischen auf das historische Gebiet. In seiner Religions-
philosophie endlich kommt das neue methodische Prinzip mit
voller Ivlarheit durch die Fragestellung heraus: wieviel von dem
geistigen Inhalt der historischen Religion hat seine apriorische
Geltung in der hloßen Vernunft? Und wie in der ersten Zeit
manches Psychologische sich in das kritisch Gültige einzu-
schleichen wußte, so nunmehr manches Historische. So liat
schon Kant die Gefahren beider Methoden an sich erlebt und
mit ihnen gerungen, erst die des Psychologismns und dann die
des Historismus.
Den Weg aher, den er von der Inauguraldissertation his zur
„Religion innerhalb der Grenzen der hloßen Vernunft“ beschrieben
hat, ist in der auf ihn folgenden Generation der Weg von Fries
zu Hegel : und fragen wir uns, weshalb wir das als einen Fort-
schritt ansehen, so lassen sich die Gründe, die für den Vorzug
der Hegelschen Art sprechen, leicht und einfach einleuchtend
machen. Für die Psychologie ist der Mensch als Naturwesen
gegeben; sie erforscht die Gesetze der seelischen Rewegung,
die er im Prinzip mit allen animalen Wesen teilt, die formalen
Eestimmungen der Eewußtseinsvorgänge in Assoziationen und
Apperzeptionen von Vorstellungen, Gefühlen und Volitionen.
Diese formalen Prozesse nun sind für die Inhalte, für deren Wert
und Sinn und für ihre Vernunftbedeutung an sich völlig in-
different, und die Sonne dieser Naturgesetzlichkeit leuchtet gleich-
mäßig über Ungerechtes und Gerechtes. Als Naturwissenschaft
ist die Psychologie unfähig, Vernunftwerte kritisch zu bestinnnen
oder gar zu begründen. Schon Aristoteles hat die Lehre vom
vouc; a.Is ein völlig Neues über der Lehre von der ai'oüricric; und
der öpeHn; errichtet. Nur insofern als die Vernunftwerte In-
halt und Gegenstand für die psychischen Funktionen des Vor-
stellens, Fühlens, Eegehrens werden können — aber sie können
es formal nicht anders als alle beliebigen sonstigen Inhalte -—,
nur insofern kann von den Vernunftwerten auch in der Psycho-
logie die Rede sein. Aber sie sind in dieser eben innner nur
geborgt, der Psychologe weiß von ihnen nnr zufällig, weil er
selber als Kulturmensch die ganze Fülle der historischen Tra-
W. Windelband:
tischen Vernunft hindurch zu der Untersuchung der übrigen
Kulturbereiche fortschreitet, der Kunst, des Rechts, der geschicht-
iichen Entwicklung, der Religion — um so mehr verschiehen sich
die empirischen Vorlagen und Grundlagen seiner Kritik aus dem
psychologischen auf das historische Gebiet. In seiner Religions-
philosophie endlich kommt das neue methodische Prinzip mit
voller Ivlarheit durch die Fragestellung heraus: wieviel von dem
geistigen Inhalt der historischen Religion hat seine apriorische
Geltung in der hloßen Vernunft? Und wie in der ersten Zeit
manches Psychologische sich in das kritisch Gültige einzu-
schleichen wußte, so nunmehr manches Historische. So liat
schon Kant die Gefahren beider Methoden an sich erlebt und
mit ihnen gerungen, erst die des Psychologismns und dann die
des Historismus.
Den Weg aher, den er von der Inauguraldissertation his zur
„Religion innerhalb der Grenzen der hloßen Vernunft“ beschrieben
hat, ist in der auf ihn folgenden Generation der Weg von Fries
zu Hegel : und fragen wir uns, weshalb wir das als einen Fort-
schritt ansehen, so lassen sich die Gründe, die für den Vorzug
der Hegelschen Art sprechen, leicht und einfach einleuchtend
machen. Für die Psychologie ist der Mensch als Naturwesen
gegeben; sie erforscht die Gesetze der seelischen Rewegung,
die er im Prinzip mit allen animalen Wesen teilt, die formalen
Eestimmungen der Eewußtseinsvorgänge in Assoziationen und
Apperzeptionen von Vorstellungen, Gefühlen und Volitionen.
Diese formalen Prozesse nun sind für die Inhalte, für deren Wert
und Sinn und für ihre Vernunftbedeutung an sich völlig in-
different, und die Sonne dieser Naturgesetzlichkeit leuchtet gleich-
mäßig über Ungerechtes und Gerechtes. Als Naturwissenschaft
ist die Psychologie unfähig, Vernunftwerte kritisch zu bestinnnen
oder gar zu begründen. Schon Aristoteles hat die Lehre vom
vouc; a.Is ein völlig Neues über der Lehre von der ai'oüricric; und
der öpeHn; errichtet. Nur insofern als die Vernunftwerte In-
halt und Gegenstand für die psychischen Funktionen des Vor-
stellens, Fühlens, Eegehrens werden können — aber sie können
es formal nicht anders als alle beliebigen sonstigen Inhalte -—,
nur insofern kann von den Vernunftwerten auch in der Psycho-
logie die Rede sein. Aber sie sind in dieser eben innner nur
geborgt, der Psychologe weiß von ihnen nnr zufällig, weil er
selber als Kulturmensch die ganze Fülle der historischen Tra-