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Pagenstecher, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1910, 6. Abhandlung): Niobiden — Heidelberg, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.32152#0014
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Rudolf Pagenstecher :

uns nicht nur an der Florentiner Niobidengruppe, sondern an
fast allen anderen Darstellungen immer aufs neue packt und
überrascht. Wie haben wir uns das zu erklären? Sicherlich
nicht aus der Unfähigkeit eines lokalen Werkmeisters, Typen
zu schaffen, denn unsere Terrakotten sind nicht eigene Erfmdung
eines untergeordneten Mannes, sondern gehen auf ausgezeichnete
Überlieferung zurück. Sehen wir weiter: außer diesen fünf
Söhnen sind uns noch drei weitere erhalten, außerdem der in
den Armen des alten Mann.es tödlich getroffen hängende Knabe.
Wir kommen damit auf neun Söhne, und wenn wir die „Repliken“
ausscheiden, so erhalten wir allerdings eine abwechslungsreiche
Reihe: wir haben den toten, den. knieenden, den sinkenden und
den mit dem. alten Manne vereinigten Sohn, ferner den jüngsten
Sohn, der mit dem Pädagogen genau wie in Florenz zusammen-
zustelien ist (Abb. 4, 5). Also bleibt noch Platz für zwei Söhne,
die der ursprünglichen Komposition angehört haben können —-
denn in dieser Zeit war die Siebenzahl schon fest geworden 33)

-—, und da scheinen Fig. 3 und 6 da.s meiste Anrecht zu haben,
denn sie sind am frischesten empfunden und unter sich am
meisten verschieden, während 1 nur 3 von. der Rückseite wieder-
gibt und 8 ebenfalls mit 3 eine zu große Ähnlichkeit verbindet.

Der Meister also, der die Formen für diese Tonstatuetten
arbeitete, hat sich ein berühmtes Original zum Muster genonmien,
hat von diesem aber einige Teile variiert, um noch mehr Ab-
wechslung zu schaffen. Natürlich konnten dann nicht immer die
passenden Stücke zusammenkommen, denn sehr sorgfältig hat
man um jene Zeit in Canosa nicht rnehr gearbeitet.

Um an Bekanntes anzuknüpfen, so haben wir bereits auf
den Pädagogen (Abb. 5) hingewiesen, der in der Tat dem
Florentiner im Gegensinne so sehr entspricht, daß man ihn auf
dasselbe Original beziehen darf. Dagegen erscheint der Knabe
von hinten gesehen, sonst. aber hat auch er mit dem jüngsten
Glied der Statuengruppe so viel Gemeinsames, daß er sich
nicht von ihr trennen läßt. Der linke Arm ist gesenkt, wodurch
aucli die linke Schulter herabgezogen wird; der rechte Arm
war hier wie dort erhoben, und nacli der Abbildung scheint
es, als ob er auch den Kopf rückwärts gewendet habe, nach
dem Unheil ausschauend, das nun aucli ihm droht. Zugleich

33) Die Überlieferung bei Stark, S. 95.
 
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