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Schwally, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 17. Abhandlung): Beiträge zur Kenntnis des Lebens der mohammedanischen Städter, Fellachen und Beduinen im heutigen Ägypten — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32892#0012
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12

Friedrich Schwally:

Wie diese Ausführungen zeigen, ist der rohe Brauch unter der
niederen — vielleicht auch der mittleren — Bevölkerung der Städte
noch ebenso im Schwange wie bei den Beduinen und Fellachen.
Seinem Ursprunge nach ist er weder arabisch noch islamisch,
sondern geht wahrscheinlich, wie auch jener Einsender behauptet,
auf uraltes ägyptisches Ileidentum zurück. Und zwar beruht er,
wie ich in der Festschrift für Th. Nöldeke, Bcl. I, S. 418 ff. dar-
gelegt habe, auf der Furcht vor bösen Geistern, die nach einem
weit über die Erde verbreiteten Glauben den Neuvermählten nach-
stellen. Während die manuelle Defloration in anderen moharn-
medanischen Ländern nicht vorzukommen scheint, ist das weiße
Tuch, welches dazu dient, die blutigen Zeichen der Jungfräulichkeit
aufzunehmen, jedenfalls im ganzen vorderen Orient gebräuchlich
und schon aus der Bibel (Deut. 22, 13 ff.) bekannt.
Wenn das zum erstenmal eine Ehe schließende Mädchen nicht
als Jungfrau im Sinne jenes Brauches erfunden wird, kann der
Bräutigam auf der Stelle die Scheidung bewirken. Um dem vor-
zubeugen, wenden sicli die Eltern der Braut zuweilen an weise
Frauen, welclie es verstehen, die Zeichen cler Virginität künstlich
hervorzubringen. Es konnnt aber auch das Umgekehrte vor, daß
einem unbescholtenen Mädchen, dessen Heirat man vereiteln will,
die Virginität gewaltsam oder mit List entfernt wird. Ein solcher
Fall, der sich vor einigen Jahren in Damiette ereignete, ist mir
durch einen Bericht des Mo’aijad, der angesehensten arabischen
Zeitung Ägyptens, bekannt geworden. Da ich den ausführlichen
arabischen Text schon früher, in der NöLDEKE-Festschrift, Bd. I,
S. 420 f., verötfentlicht habe, kann ich mich hier mit einer ver-
kürzten deutschen Wiedergabe begnügen:
Ein armer Mann hatte eine wohlhabende Frau geheiratet, die
aber bald nacli der Geburt cles ersten Ivindes, eines Mädchens,
starb. Hierauf nahm er eine andere Frau, die ihm ebenfalls ein
Mädchen schenkte. Als die beiden Töchter herangewachsen waren,
bewarb sich ein Verwandter der Ältesten um ihre Hand. Der
Vater gab sie ihm V jA&j \> Ja li) und machte sich daran,
ihr von ihrem eigenen, mütterlichen Vermögen die Ausstattung zu
beschaffen. Aber seine Frau konnte es nicht verschmerzen, daß
dem Hause nunmehr die Nutznießung dieses Vermögens verloren
ging; auch war es ihr ein Dorn im Auge, daß die Stieftochter
früher heiratete als ihre eigene Tochler. Sie faßte deshalb den
 
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