Metadaten

Schwally, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 17. Abhandlung): Beiträge zur Kenntnis des Lebens der mohammedanischen Städter, Fellachen und Beduinen im heutigen Ägypten — Heidelberg, 1912

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32892#0014
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
14

Friedrich Schwally:

breiteten Vorliebe für ganz jugendliche Frauen oder auf Grund
einer besonderen Zuneigung, die sie zu einem Kinde gefaßt haben.
Ich bin einmal Zeuge eines solchen Eheabkommens gewesen, und
war ein ancleres Mal zugegen, als ein angesehener ägyptischer Ge-
lehrter einem befreuncleten christlichen Europäer für dessen sechs-
jähriges Töchterchen, von dem er ein Bild gesehen hatte, einen
Heiratsantrag machte. Der Vater antwortete ihm: „Ich habe nichts
dagegen, docli besteht in meinem Lande die Sit.te (S^Ull), claß das
Mädchen ihre Einwilligung gibt“. Der Moslim hielt clas für eine
Ausrede und sagte: „Ich selie schon, daß clu sie mir nicht geben
willst“. Als er sich endlich von der Aufrichtigkeit seines Freundes
überzeugt hatte, meinte er: „Man muls dem Kinde die Saclie vor-
stellen und es daran gewöhnen. Man muß ihm jeden Tag sagen,
daß es einem sehr angesehenen Schech in Ägypten zur Frau be-
stimmt ist, uncl daß es einmal Wagen und Pferde bekonunen wird.
Dann wird es schon nicht Nein! sagen.“
Durch clie Heirat kornrnt das Mädchen, da die sehr beliebte
Verbindung mit Vettern (vgl. oben S. 10) häufig unausführbar ist,
gewöhnlich in ein nicht venvandtes Haus. Während der jungen
Frau in unseren Verhältnissen der Verlust ihrer seitherigen bluts-
verwandten Umgebung (Eltern, Geschwister) durch clie Zuneigung
ihres Gatten ersetzt wird, beginnen innerhalb des Islam die per-
sönlichen Beziehungen des jungen Paares überhaupt erst nach der
Hochzeit, so daß das Entstehen einer Zuneigung eine Frage der
Zukunft ist. Selbst im günstigsten Falle kann sich zwar die Lage
der Frau angenehmer gestalten, aber doch ihre Stellung gegenüber
dem Mann nicht grundsätzlich ändern.
Abgesehen davon, daß die Frau nach dem Gesetze die freie
Verfügung über ihr eigenes Vermögen behält und zu den Kosten
des gemeinsamen Haushaltes nichts beizutragen braucht, ist sie
fast gänzlich vom Willen des Mannes abhängig. Dieser übt die
ihm durch Becht und Gewohnheit eingeräumten Befugnisse in der
Regel mit großer Strenge aus. Er verlangt von ihr ein schüchternes
und unterwürfiges Wesen. Kommt er nach Hause, so muß sie sich
von ihrem Sitz erheben und ihn feierlicli begrüßen, aber beileibe
nicht mit seinem Rufnamen (Mohannned, Hasan usw.) anreden,
sonclern mit dem ihm zukommenden Titel (Saijid, Efendi, Schech,
Bey, Pascha). Sie darf ihn unaufgefordert nicht nach seinen Ge-
schäften fragen und sicli überhaupt nicht in seine persönlichen
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften