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Schwally, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 17. Abhandlung): Beiträge zur Kenntnis des Lebens der mohammedanischen Städter, Fellachen und Beduinen im heutigen Ägypten — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32892#0034
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Friedrich Schwally:

frau gegenüber ihrem Manne nicht so nnterwürfig wie in der Stadt
— vgl. oben S. 14 f. —, sondern freier. Sie redet ihn mit seinem
Namen an, und beide nehmen die Mahlzeiten gewöhnlich gemeinsarn
ein. Vor einem Fremden verbergen sich Frauen und Mädchen nicht
so ängstlich wie in der Stadt. Ja sie können ihm gegenüber sogar
sebr zutraulich werden, wenn die zur Familie gehörigen Männer
nicht zugegen sind; in deren Anwesenheit freilich müssen sie sicli
in den für sie bestimmten, abgetrennten Teil des Zeltes zurück-
ziehen und dürfen niclrt an der Unterhaltung teilnelnuen.
Unter den verschiedenen Formen der Ehe ist die Zweiehe (vgl.
oben S. 17) am meisten verbreitet. Eigentlich hat jeder anständige
Beduine seine Darra. So oft ich mit Beduinen oder Fellachen
zusammensaß, wurde ich nicht nur nach rneiner Frau, sondern regel-
mäfiig auclr nach meiner Darra gefragt. Die Darra verträgt sich mit
der älteren Frau nur selten und muß deshalb in einem besonderen
Zelte untergebracht werden. Die Heiraten werden in noch jugencl-
licherem Alter eingegangen als in der Stadt, namentlich seitens der
Männer. Daß Burschen von 15 Jahren Hochzeit haiten, ist gar
keine Seltenheit.
Von dem Ansehen, dessen sich der Häuptling eines Beduinen-
stannnes (seh habile, romdd-l'abüc) erfreut, kajm man sich nicht
leicht eine zu hohe Vorstellung machen. Es ist dabei ganz gleich,
ob er ein jugendlicher Mann ocler ein ehrwürdiger Greis ist. Sogar
den Häuptlingen kleinerer Stämme wird mit einer Ehrfurcht begegnet,
wie sie in Europa wohl nur gegenüber regierenden Fürsten üblich
ist. Kommt der Häuptling in eine Versannnlung, so erheben sich
alle, einschliehlich seiner ältesten Verwandten, und setzen sich erst
wiecler, nachdem er Platz genommen hat. Verläbt er die Ver-
sammlung, so springt wieder alles von den Sitzen auf, bis er außer
Sehweite ist. Wenn der Häuptling nicht gerade nach dem Harem
oder einem unreinen Orte geht, ist er selten allein, sondern hat
gewöhnlich einen Schwarm von Dienern, Verwandten, Freunden
und Gästen um sich.
Trotz der Zentralisierung der ganzen Staatsverwaltung und
Rechtspflege im heutigen Ägypten haben die Beduinen nocli innner
ein gewisses Maß eigener Gerichtsbarkeit behalten, namentlich in
Zivilsachen. Ein Schech von den Rimäh-Beduinen aus der Nähe
von Minje sagte mir einmal folgendes darüber:
 
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