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Schwally, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 17. Abhandlung): Beiträge zur Kenntnis des Lebens der mohammedanischen Städter, Fellachen und Beduinen im heutigen Ägypten — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32892#0035
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Mohammedanische Städler, Fellachen u. Beduinen im heutigen Agypten. 35

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Der Vorsitz in den Gerichtssitzungen ist im alJgemeinen dem
Häuptling vorbehalten. Doch wird ein großer und angesehener
Schech sicli nicht mit verächtlichen StreitoJjjekten, wie Diebstahl
oder AVeiberangelegenheiten, abgeben, sondern dieselben einem
Unterhäuptling überlassen. Der Urteilsspruch erfolgt nicht auf
Grund eines gescJirieJtenen Kanon, sonclern nach Herkommen, Keclit
und Billigkeit. Wenn sich zwei Parteien nicht einigen wollen, so
werden sie von den Herumsitzenden heftig angefahren und oft mit
derben Handgreiflichkeiten clicht vor die Richter gezerrt, bis sie
sich dazu becpiemen, nebeneinander Platz zu nehmen, sich die
Hand zu reichen und vor einem Koranexemplare gemeinsam die
Fätha aufzusagen. Das heißt man sulh machen. Hierauf begeben
sich die Parteien nach einem anderen Platze und trinken gemeinsam
Kaffee oder nehmen sonst ein Mahl ein. Erst jetzt ist cter Sulh
besiegelt. Diese Gerichte haben keine Exekutivgewalt, sondern
Jediglich moralische Autorität. Aber diese Autorität ist. so stark, daß
eine Person, welche sich einem Urteil nicht unterwürfe oder den
Sulh bräche, in den schlimmsten Verruf käme und außer Landes
gehen müßte.
Die Blutrache ist noch nicht ausgestorben, obwohl ihre Aus-
übung von den staatlichen Gerichten wie gemeiner Morcl bestraft
wirch Eine besondere Art der Blutrache ist der regelrechte Zwei-
kampf. Um einen soJchen auszufecbten, begeben sich die Beteiligten
tief in die Wüste hinein, wo sie vor den Augen der Polizeiorgane
uncl Grenzwachen sicher sincl.
Großen Ansehens erfreut sich der Dichter, ch h. der Mann,
welcher die Fähigkeit besitzt, die neuen und neuesten Ereignisse
in gereimter Bede aus dem Stegreife vorzutragen, und zwar ge-
wöhnlich ohne jede Hilfe von Aufzeichnungen. Zwei solcher Dicliter,
ctie ich kennen gelernt habe, einen von clen Bimäh-Beduinen, den
anderen von den Uläct "Aziz, rühmten sich, niemals eine Zeile nieder-
geschrieben zu haben. Personen, die altüberlieferte Gedichte be-
wahren, sind mir dagegen nicht begegnet. Die Dichter und Sänger
treten bei allen bedeutenderen, festlichen Veranstaltungen auf. Da sie
gewöhnlich den ärmeren Kreisen angehören, fehlen sie nie, wenn
in weitem Umkreise eine größere Schmauserei stattfmclet, und
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