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Eberhard Gofhein :
Später aber und bis zur Gegen'wart ist die Anzahl der AVebe-
lieder gegenüber andern Hantierungen auffallend gering. Der
Grund liegt nahe. Solange die Weberin am aufrechtstebenden
Webstubl auf- und abgebt und das hellklingende Schiffchen, die
Kepxig Xtfeia durcb den aufgespannten Zetteb wirft, ergiebt sich
Ton und Rhythmus ganz von selber. Aber der liegende Webstuhl,
an dem der Balken mit dem Fuß bedient wird, kam auf, mit
ihm die Männerarbeit, die Herodot in Ägypten noch als verkehrte
Welt erschien. Jetzt gai) es bei der Arbeit ein solches Gepolter,
daß aucli die einfachste Melodie dabei kaum aufkommen konnte.
Aber das Bedürfnis des Rhythmus blieb, und so traten rhythmische
Worte, die bei der Arbeit hineingeworfen werden, wie das Scliiff-
chen mit dem Einschlag durch den Zettel fliegt, an die Steile
des Liedes; es sind die ,,omnium textorum dicta“. Die des Alter-
tums sind verschollen, und wir haben nicht viel daran verloren.
Weberworte späterer Zeiten bewahrt uns ein altes lustiges Spott-
lied auf „die sauhere Zunft“ der Leineweber:
„Aschegraue, himmelhlaue,
Mir ein Viertel, dir ein Viertel
Hidscharum, hadschirum, hid schum, schum, schum.
Trimalchio und Theoderich werden sich mit wenig Witz und
viel Behagen ebenso rhythmisch ausgedrückt haben.
In Trimalchios Hause tönt so wie so alles von Arbeitsliedchen.
Mit komischer Übertreibung, einem durchgehenden Zuge dieses
Schelmenromans, herichtet der Bohemien Encolpios, wie selbst
der Diener, der — eine der feinen Aufmerksamkeiten des Haus-
herrn — den Gästen die Niednägel von den Füßon entfernt,
hei dieser kitzlichen Arbeit singt. Encolpios macht die Probe,
und selbst der Weinschenk leistet seinen Dienst mit schrillem
Gesang. Das ganze Haus scheint ein Pantomimus, womit auch
gesagt ist, daß Bewegung und Lied verbunden ist. Wenn sich
nun auch Trimalchio sellfer bei den Klängen seiner Hauskapelle
in den Speisesaal tragen läßt, so brauchen wir doch nicht von
der Sklavenschar, die sich laut und unordentlich in der Villa
drängt, anzunehmen, daß sie aus lauter Sängern bestehe.8) Sie
singen ihre Arbeitslieder. So hringt es die Atmosphäre des
Hauses mit sich. Es fehlt hier zwar nicht an gelegentlichen,
aucli vor den Gästen erteilten oder angedrohten Prügeln; das
8) So iüersetzt Friedländer : ego expereri volui, au tota familia
cantaret.
Eberhard Gofhein :
Später aber und bis zur Gegen'wart ist die Anzahl der AVebe-
lieder gegenüber andern Hantierungen auffallend gering. Der
Grund liegt nahe. Solange die Weberin am aufrechtstebenden
Webstubl auf- und abgebt und das hellklingende Schiffchen, die
Kepxig Xtfeia durcb den aufgespannten Zetteb wirft, ergiebt sich
Ton und Rhythmus ganz von selber. Aber der liegende Webstuhl,
an dem der Balken mit dem Fuß bedient wird, kam auf, mit
ihm die Männerarbeit, die Herodot in Ägypten noch als verkehrte
Welt erschien. Jetzt gai) es bei der Arbeit ein solches Gepolter,
daß aucli die einfachste Melodie dabei kaum aufkommen konnte.
Aber das Bedürfnis des Rhythmus blieb, und so traten rhythmische
Worte, die bei der Arbeit hineingeworfen werden, wie das Scliiff-
chen mit dem Einschlag durch den Zettel fliegt, an die Steile
des Liedes; es sind die ,,omnium textorum dicta“. Die des Alter-
tums sind verschollen, und wir haben nicht viel daran verloren.
Weberworte späterer Zeiten bewahrt uns ein altes lustiges Spott-
lied auf „die sauhere Zunft“ der Leineweber:
„Aschegraue, himmelhlaue,
Mir ein Viertel, dir ein Viertel
Hidscharum, hadschirum, hid schum, schum, schum.
Trimalchio und Theoderich werden sich mit wenig Witz und
viel Behagen ebenso rhythmisch ausgedrückt haben.
In Trimalchios Hause tönt so wie so alles von Arbeitsliedchen.
Mit komischer Übertreibung, einem durchgehenden Zuge dieses
Schelmenromans, herichtet der Bohemien Encolpios, wie selbst
der Diener, der — eine der feinen Aufmerksamkeiten des Haus-
herrn — den Gästen die Niednägel von den Füßon entfernt,
hei dieser kitzlichen Arbeit singt. Encolpios macht die Probe,
und selbst der Weinschenk leistet seinen Dienst mit schrillem
Gesang. Das ganze Haus scheint ein Pantomimus, womit auch
gesagt ist, daß Bewegung und Lied verbunden ist. Wenn sich
nun auch Trimalchio sellfer bei den Klängen seiner Hauskapelle
in den Speisesaal tragen läßt, so brauchen wir doch nicht von
der Sklavenschar, die sich laut und unordentlich in der Villa
drängt, anzunehmen, daß sie aus lauter Sängern bestehe.8) Sie
singen ihre Arbeitslieder. So hringt es die Atmosphäre des
Hauses mit sich. Es fehlt hier zwar nicht an gelegentlichen,
aucli vor den Gästen erteilten oder angedrohten Prügeln; das
8) So iüersetzt Friedländer : ego expereri volui, au tota familia
cantaret.