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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 5. Abhandlung): Platos Staatslehre in der Renaissance — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32880#0010
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Eberhard Gothein :

matischen Hanptwerk Platos das eigentlich Wertvolle ist, sagt
er gleicli in der Einleitung. Er geht in ihr aus vom Unterschied
der vita contemplativa und activa, den Plato selhst erst im
TToXiTiKoq schärfer aufstellt. Für die dualistische Lebensauf-
fassung des Mittelalters war gerade diese Zweiteilung entschei-
dend geworden; sie hatte hei Dante in der Schlußvision des
Purgatorium und im Paradies ihre höchste, dichterisch-sym-
holische Darstellung gefunden. Der unermeßliche Vorrang des
heschaulichen Lebens steht für Ficinus fest: „wie das Auge der
Hand, das Haupt den Füßen, die Vernunft den Sinnen, die Seele
dem Körper, der Zweck den Mitteln, die Ruhe der Bewegung, die
Ewigkeit der Zeit überlegen ist“. Darin aber ehen bestehe auch
der Vorrang Platos vor allen, die sonst üher den Staat geschrieben
haben, daß jene in ilirem Staat nur auf das tätige Leben Bezug
genommen haben, er allein auf das kontemplative. Deshalb stelle
sicli auch das Ganze als ein Dialog über die Gerechtigkeit dar
und ordne sich so in die Werke Platos ein. Jedenfalls verfolgt
Ficinus das, was ihm — im Grunde nicht ganz mit Unrecht —
als der Flauptgedanke erscheint., fast allein und behandelt alles
übrige als Beiwerk.
Er tut dies recht mit Trotz, weil er weiß, daß sich die Gegner
in ihrer Bestreitung gerade an die Außenseite gehalten haben.
Er verübelt es namentlich Aristoteles, dem er gern die Maske
scheinbarer Verehrung, die er seinem Lehrer „Plat.oni suo, nus-
quam suo!“ dargebracht hat, vom Gesicht reißen möchte. Als
er zu dem heiklen Thema der Weiher- und Gütergemeinschaft
gelangt, hemerkt er spöttisch: „Nun werde man wohl eine Apo-
logie von ihm erwarten; wer aber nur recht zu lesen verstehe,
hedürfe keiner solchen“. — Natürlich gibt er sio doch: Dieser
apollinische Arzt der Menschheit hat sich eben auch hier an
die hewährte Regel der Ärzte gehalten: „quod frigida. non sanant,
calida sanant“. Bekanntlich lautet die alte Ärzteregel bedeutend
schroffer. — Übrigens aber sei die Gütergemeinschaft uralt.er
Brauch verschiedenster Völker, die er von den Indern bis zu
den Böhmen aufzählt, Nicht minder haben ihr die ältesten
Christen gehuldigt, huldigen ihr noch jetzt die strengeren Orden
und schließlich alle Freunde. In dem Maße also, wie man sie
pflege, nähere man sich der Vollkommenheit — ein Gedanke, der
Gemeingut der christlichen Et.hik des Mittelalters ist und hei
Thomas seinen präzisen Ausdruck gefunden hat.
 
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