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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 5. Abhandlung): Platos Staatslehre in der Renaissance — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32880#0013
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Platos Staatslehre in der Renaissance.

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Die Freunde begleiteten clie Übersetzung jedes Dialogs rnit
Fragen über seine metaphysischen und ästhetischen Probleme,
so daß Ficinus’ Briefwechsel selber einer ununterbrochenen plato-
nischen Debatte gleicht. Sie waren diesmal offenbar nicht ganz
einverstanden mit der Art, wie sie über die Fragen des Rechts-
nnd der Politik abgespeist wurden. Lorenzo Medici richtete an
seinen Lehrer eine besondere Anfrage über das Wesen des Ge-
setzes und der Gerechtigkeit, wie er ihn auch sonst drängte,
nach allen den Kommentaren „die Summe“ seiner eigenen An-
sichten zu ziehen. In der Antwort giht Ficinus als Platos Sinn
jene Ableitung, die das Gemeingut der gesamten Scholastik war,
die einst von der Stoa festgestellt, indirekt allerdings von Plato
abgeleitet war, die Rangordnung: Weltgesetz als unmittelbarer
Ausfluß des göttlichen Willens, die lex divina das den Menschen
eingeborene Gesetz als einen Bestandteil, davon abgeleitet das
geltende, geschriebene Recht. Diese Antwort hätte sich Lorenzo
bei allen Scholastikern und Glossatoren auch holen können.
Etwas tiefer greift Ficinus in einem Briefe über die Pflicht
des Bürgers gegenüber dem Staat. Hier sucht er die Grundsätze
der platonischen Politie mit der Wirklichkeit zu versöhnen: Der
Grundgedanke müsse ein für allemal feststehen, daß der Staat
ein einheitliches Wesen sei, die Bürger aber nur seine Bestand-
teile, daß daher stets der Teil dem Ganzen, nicht das Ganze
den Teilen zu dienen habe, woraus dann aber auch der höchste
Vorteil des einzelnen, nämlich die höchste, ihm noch mögliche
Vollkommenheit folge.7) Nachdem er so das antike Staatsprinzip
scharf hezeichnet und von jeder individualistischen Staatsauf-
fassung getrennt hat, schwächt er die Konsequenzen für den
Gebrauch ab: Freilich folge aus der Gemeinsamkeit des Wohles
und Wehes aller Bürger auch die Gütergemeinschaft, so daß
keiner unbedingt sagen könne: dies ist mein, dies dein. Denn
in diesem großen Lebewesen Staat ist alles gewissermaßen (quo-
im Symposion, wo ja alle zu Worte und zu ihrem Teilrecht kommen? und bricht
er nicht in den Gresetzen, dem grandiosen Alterswerk, manchmal übermächtig
hervor ? Wie sehr sich die drei alten Herren in Rechtsrigorismus und Ketzer-
verfolgung ereifern mögen, ihr Geist weilt doch gern beim Glück der Kinder,
schönste Spiele zu spielen — und über das Recht der Greise auf reich-
lichen Weingenuß reden sie so unbillig lange, daß man etwas Selbstverteidigung
vermutet.
7) Die Formulierung des Gedankens stammt doch wohl mehr aus den
Anfangskapiteln von Aristoteles’ Politik.
 
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