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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 9. Abhandlung): Über Sinn und Wert des Phänomenalismus: Festrede — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32884#0009
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Über Sinn und Wert des Phänomenalismus.

9

Renaissance von Männern wie Galilei, Descartes und llobbes
gegenüber der aristotelisch-scholastischen Auffassung zu neuem
Ansehen gebracht und dann nach Robert Boyles Vorgange von
Locke als die Lehre von den primären und sekundären Quali-
täten festgelegt worden war. Von hier stammt auch die erste,
nachher so vielfach variierte Bedeutung des Terminus „Idealis-
mus“, der nichts anderes besagte als die Lehre, daß die ver-
meintlichen Eigenschaften der Dinge nur Vorstellungen, nach
damaliger Redeweise „Ideen“ seien. Das bezog sich zunächst
lediglich auf die Sinnesqualitäten. Eine Kontroverse bestand
nur eine Zeitlang über die Frage, ob auch die Oualitäten des
Tastsinns, welche die Wahrnehmung der Raumerfüllung dar-
stellen, unter diese Subjektivität fallen sollten. Wie schon Henry
More in seiner Korrespondenz mit Descartes, um der Gleich-
setzung des physischen Körpers mit dem mathematischen vor-
zubeugen, die Impenetrabilität ausgenommen wissen woilte, so
hat Locke die Solidity als reale, primäre Eigenschaft der Körper
behauptet.
Seh'en wir von dieser Nebenfrage ab, die im letzten Grunde
auf den Gegensatz der hylischen und der energetischen Theorie
der Körperwelt hinausläuft, so gilt die Phänomenalität der Sinnes-
qualitäten als axiomatische Voraussetzung für die gesamte mo-
derne Naturforschimg: charakteristisch ist dafür, wie sie in Kants
Krit.ik der reinen Vernunft kaum eigens erwähnt, aber überall
als selbstverständlich zugnmde gelegt wird. Dagegen werden
allgemein in der Naturforschung, wie schon von Demokrit, die
allen Sinnen gleichmäßig zukommenden, besonders aber für Ge-
sicht und Getast zugänglichen Eigenschaften cler Körper, die
sich auf deren räumliche Verhältnisse, auf Größe, Gestalt, Lage
und Bewegung beziehen, als real betrachtet. Woher das Recht
dieser Scheidung? Für die unmittelbare Erfahrung oder, wie
man heutzutage sich auszudrücken sich gewöhnt hat, für das
„Erlebnis“ — sind beide, die Sinnesqualitäten und die Raum-
bestimmungen, miteinander in gleicher Weise und in demselben
Bewußtseinsakte untrennbar, keines ohne das andere gegeben.
Wie kommen wir zu der erkenntnistheoretischen Wertscheidung
von genetisch so eng miteinander verbundenen Momenten? wes-
lralb sollen die einen Phänomene, die anderen Realitäten sein?
Dürfen wir die Empfmdungen und die raum-zeitliche Orclnung,
in der sie allein erlebt werden, in dieser Weise auseinander-
 
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