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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 9. Abhandlung): Über Sinn und Wert des Phänomenalismus: Festrede — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32884#0010
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W. Windelband.

reißen? Die Antwort auf diese Fragen gibt uns Descartes, wenn
er sagt, an unserer Yorstellung von den Körpern dürfe nur das als
real gelten, was klar und deutlich gedacht werde, und das sei nicht
das ansch'aulich Imaginative, sondern das rational Intellektive, d. h.
nach seiner Lehre das mathematisch Bestimmbare. Das Motiv
dieser Art des Phänomalismus also ist, nur diejenigen Momente
der Erfahrung für eine adäquate Erkenntnis der Wirklichkeit zu
halten, welche sich für den Aufbau der mathematischen Theorie
eignen. Genau so hatte teilweise schon Kepler, noch bewußter
Galilei, das Prinzip der theoretischen Naturwissenschaft ausge-
sprochen. Die Gesetzmäßigkeit der Natur ist. nur in ihren quant.i-
tativen Bestimmüngen zu erfassen ünd mathematisch zü formu-
lieren: eben deshalb dürfen sie allein als das wahrhaft Wirk-
liche, dagegen die solcher Formung unfähigen Sinnesqualitäten
nur als Erscheinungen für das wahrnehmende Bewüßtsein an-
erkannt werden.
Wenn also jene Auswahl, die unter den Momenten der un-
mittelbaren Erfahrung die quantitativen als die realen von den
qualitativen als den phänomenalen sondert, durch clas Erkenntnis-
interesse der mathematischen Naturtheorie bedingt war, so ist
es begreiflich, daß sie mit diesem zusammen hinfällig wird. Wo
die Natur ohne diesen Zweck angeschaut wird, da t.ritt wieder
das Reclit des unmittelbaren Erlebnisses in Kraft. Das hat sicli
an den eindrucksvollsten unserer Sinnesqualitäten gezeigt, an
den Farben: und das macht die philosophische Bedeutung von
Goethes Farbenlehre aus, clas ist der letzte Nerv seiner leiden-
schaftlichen Opposition gegen die Newtonsche Theorie. Achten
wir auf clies entscheidende Motiv, so verstehen wir, wie zwei
Philosophen, die sonst so wenig Gemeinsames hatten und haben
wollten, wie Hegel und Schopenhauer, in der Zustimmung zu
Goetlies Farbenlehre einig sein konnten. Sie mochten jene meta-
physische Wertsclieidung von qualitativen und quantitativen Ele-
menten der Wahrnehmung ebensowenig anerkennen wie die ge-
samte Naturphilosophie des Idealismus, in der sich nach dieser
Richtung die Opposition von Aristoteles gegen Platon und Demokrit
wiederholte. Mit feinsinniger Eigenart ist dies Verhältnis voneinem
Epigonen der Naturphilosophie dargestellt worden, von Fechner
in dem geistreichen und temperamentvollen Buche, worin er seine
Weltanschauung als „die Tägesansicht gegenüber der Nacht-
ansicht“ zusammenfaßte. Beklemmt und bedrückt von der Öde
 
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