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W. Windelband.
selbe Prinzip wie bei Pescartes, aber in der metaphysischen Kon-
sequenz durchaus verändert. Denn in bezug auf die Welt-
anschauung trat damit neben die demokritische und die goethesche
Art die dritte, die Auffassung der gesamten Außenwelt. als Er-
scheinung: und zwischen diesen drei Weltansichten bestehh so
darf man wohl sagen, in gewissem Sinne noch heute der unge-
schlichtete Streit.
Allein Kants Phänomenalismus erweist seine viel tiefere und
ganz andersartige Begründung auch dariiq daß er inhaltlich sehr
viel weiter reicht. Er betrifft nicht nur wie die früheren Formen
die Außenwelt, sondern auch die seelische Innenwelt, und des-
haib erstreckt er sich vom Raum aus auch tiber die Zeit. Er
umspannt die gesamte Erfahrungswelt, und in diesem Sinne ist
er platonischer Struktur. In der Tat müssen wir, um hier die
letzten Zusammenhänge der philosophischen INIotive bloßzulegen,
auf die Parallelerscheinung zu der demokritischen Forrn des
Phänomenalismus zurückgreifen, die Ideenlehre Platons. Auch
dessen Scheidung von cpaivöpeva und vooupeva liegt ein metho-
dologisches Motiv zugrunde. Freilich nicht in der Art, wie es
die neueste Verdeutung des Platonismus annimmt, die in ihm
sclion den ganzen transzendentalen Idealismus wittern möchte,
sondern in dem Sinne, wie ihn sein großer Schüler Aristoteles
verstanden hat. Wenn der demokritisch-cartesianische Phäno-
menalismus nur das mathematisch Bestimmbare in unseren Vor-
stellungen für „wirklich“ ansieht, so legt der platonische als
Maßstab die logischen Anforderungen, vor ailen die der Iden-
tität an: und wenn diesem eleatischen Postulat die Gegenstände
unserer Erfahrung in keiner AVeise entsprechen, wenn in ihnen
vielmehr der heraklitische Fluß aller Dinge herrscht, so kann
alles dies, was wir wahrnehmend außer uns und in uns erleben,
nur eine minderwertige, eine abgeleitete und abgeschwächte AVirk-
iichkeit, d. h. eben Erscheinung bede'uten, und das wahrhaft
Wirkliche muß als eine höhere und fiir sich bestehende, als die
metaphysische Realität in den Inhalten gefunden werden, welche
das begriffliche Denken als die ewig gleichen und zeitlos in
unveränderlichen Beziehungen zueinander stehenden Wesen-
heiten erkennt, — in clen Ideen. Das logische Bediirfnis, das in
der Erfahrung nicht hefriedigt wird, sucht seine Gegenstände
außer cler Erfahrung und iiber ihr. Das ist der typische Grund-
zug aller (im Kantischen Sinne) dogmatischen Metaphysik: als
W. Windelband.
selbe Prinzip wie bei Pescartes, aber in der metaphysischen Kon-
sequenz durchaus verändert. Denn in bezug auf die Welt-
anschauung trat damit neben die demokritische und die goethesche
Art die dritte, die Auffassung der gesamten Außenwelt. als Er-
scheinung: und zwischen diesen drei Weltansichten bestehh so
darf man wohl sagen, in gewissem Sinne noch heute der unge-
schlichtete Streit.
Allein Kants Phänomenalismus erweist seine viel tiefere und
ganz andersartige Begründung auch dariiq daß er inhaltlich sehr
viel weiter reicht. Er betrifft nicht nur wie die früheren Formen
die Außenwelt, sondern auch die seelische Innenwelt, und des-
haib erstreckt er sich vom Raum aus auch tiber die Zeit. Er
umspannt die gesamte Erfahrungswelt, und in diesem Sinne ist
er platonischer Struktur. In der Tat müssen wir, um hier die
letzten Zusammenhänge der philosophischen INIotive bloßzulegen,
auf die Parallelerscheinung zu der demokritischen Forrn des
Phänomenalismus zurückgreifen, die Ideenlehre Platons. Auch
dessen Scheidung von cpaivöpeva und vooupeva liegt ein metho-
dologisches Motiv zugrunde. Freilich nicht in der Art, wie es
die neueste Verdeutung des Platonismus annimmt, die in ihm
sclion den ganzen transzendentalen Idealismus wittern möchte,
sondern in dem Sinne, wie ihn sein großer Schüler Aristoteles
verstanden hat. Wenn der demokritisch-cartesianische Phäno-
menalismus nur das mathematisch Bestimmbare in unseren Vor-
stellungen für „wirklich“ ansieht, so legt der platonische als
Maßstab die logischen Anforderungen, vor ailen die der Iden-
tität an: und wenn diesem eleatischen Postulat die Gegenstände
unserer Erfahrung in keiner AVeise entsprechen, wenn in ihnen
vielmehr der heraklitische Fluß aller Dinge herrscht, so kann
alles dies, was wir wahrnehmend außer uns und in uns erleben,
nur eine minderwertige, eine abgeleitete und abgeschwächte AVirk-
iichkeit, d. h. eben Erscheinung bede'uten, und das wahrhaft
Wirkliche muß als eine höhere und fiir sich bestehende, als die
metaphysische Realität in den Inhalten gefunden werden, welche
das begriffliche Denken als die ewig gleichen und zeitlos in
unveränderlichen Beziehungen zueinander stehenden Wesen-
heiten erkennt, — in clen Ideen. Das logische Bediirfnis, das in
der Erfahrung nicht hefriedigt wird, sucht seine Gegenstände
außer cler Erfahrung und iiber ihr. Das ist der typische Grund-
zug aller (im Kantischen Sinne) dogmatischen Metaphysik: als