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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 9. Abhandlung): Über Sinn und Wert des Phänomenalismus: Festrede — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32884#0014
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W. Windelband.

Denn da Apriorität und Phänomenalität zu Korrelativbegrifien
geworden warerp da Erkenntnis nur so weit möglich sein sollte,
als sie aus dem Gesetze des Intellekts selber stammt, so blieb
die mathematische Theorie der Erscheinungen als die einzig
mögliche Wissenschaft für Kant übrig.
Mit dieser Ausdehnung der Phänomenalität auf das gesamte
Wissen, mit der hiernach zunächst scheinbar als Ergebnis
drohenden Verwandlung des partiellen Phänomenalismus in den
totalen und absoluten war nun aber auch eine völlige Ver-
schiebung seiner Bedeutung eingetreten. Die beiden ursprüng-
lichen Formen des Phänomenalismus, die demokritische und die
platonische, liefen auf eine Geltungsdifferenz zwischen den ver-
schiedenen Schichten inr Inhalt der wissenschaftlichen AVelt-
vorstelhmg hinaus: einiges davon galt als das wirkliche AA'esen,
anderes dagegen nur als Erscheinung. Wenn nun aber schlechter-
dings alles, die anschaulichen und die begrifilichen Formen
ebenso wie die empfmdungsmäßig gegebene Materie unseres
Wissens, in den Bereich der Erscheinung fallen sollte, so blieb
für das Wesen absolut nichts übrig: das ergab die bekannte Lehre
von der wissenschaftlichen Unerkennbarkeit des Ding-an-sich.
Will man dies Ergebnis rein logisch formulieren, so bestand es
darin, daß die kategoriale Beziehung zwischen Wesen und Er-
scheinung, die ursprünglich und bis dahin (was Kant selbst für
die Geltuüg aller Kategorien mit Recht verlangte) ein Verhältnis
zwischen bestimmten Erkenntnisinhalten verschiedener Art be-
deutet hatte, nun zu einem Verhältnis zwischen der Gesamtheit
der bestimmten Inhalte und etwas völlig Unbestimmtem umge-
deutet wurde: und von diesern Unbestimmten sollte man nichts
wissen, als daß es, da es zu dem Bestimmt.en in jene kategoriale
Beziehung gebracht und also von ihm unterschieden wurde, not-
wendig etwas anderes sein müsse als alles in der Erscheinung
Gegebene.
Mit dieser Umbiegung des Sinnes aber verliert die Kategorie
ihre Brauchbarkeit für die Erkenntnis: diese besteht nur, so-
lange bestimmt anzugeben ist, was Erscheinung und was Wesen
ist. Wird das Wesen zu der bekannten Erscheinung erst gesucht,
so hat die Kategorie regulative und heuristische, aber noch nicht
konstitutive Bedeutung: wird aber behauptet, das Wesen sei
prinzipiell nicht bestimmbar, so ist die Kategorie im eigensten
Sinne des Worts gegenstandslos geworden. Das können wir an
 
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