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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 9. Abhandlung): Über Sinn und Wert des Phänomenalismus: Festrede — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32884#0016
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16

W. Windelband.

auch von den wesentliclien Eigenschaften noch das Ding selbst
zu unterscheiden verlangen, das diese Eigenschaften doch eben
„habe“, sucht man in jenem Ivern des Wesenhaften noch wieder
einen innersten Kern des Kerns, den das Ding nicht hat, sondern
der es ist, so gelangt man unausweichlich zu dem unerkennbaren
Ding-an-sich, dessen Erscheinungen alle seine — wesentlichen
und unwesentlichen — Eigenschaften sind. So sprach schon
Locke von der Substanz als dem unbekannten Substrat, als dem
Träger der Eigenschaften, von dem wir nur wissen, daß es ist,
nicht was es ist, — d. h. den wir nur postulieren, aber nicht er-
fahren. Auch dieser Begriff bedeutet dann mit seiner Inhalt-
lösigkeit nichts als die hypostasiert.e Begriffsform der Inhärenz.
Nimmt man diese Gedankengänge zusammen, so versteht man
die sachliche Verwandtschaft, clie zwischen Kants Ding-an-sich
und Spinozas Gott in den Motiven cler iclealistischen Entwicklung
zunr Teil bei Fichte uncl Schelling, noch deutlicher aber in
Nebenerscheinungen, wie Bouterweks Apodiktik, zutage getreten
ist, worin Kants Phänomenalismus geraclezu als negativer Spino-
zismus charakterisiert wurcle. In so mannigfach verschränkten
Wendungen kommt dann clie Vorstellung zustancle, zu clen vielen
Erscheinungs- und Ausclrucksweisen des unbekannten „Unend-
lichen“ gehöre, vielleicht als exzeptionell, aber vielleicht auch
nur für den Menschen exzeptionell becleutsam, das Bewußtsein
oder die Erkenntnis -— ein Attribut wie anclere auch, uncl dem
Wesen, das darin erscheint, prinzipiell nicht näher und nicht
ferner als die übrigen.
Indessen hat doch auch in solchen der Kategorie der In-
liärenz angenäherten Formen das Verhältnis von Wesen und Er-
scheinung den Sinn, daß zwischen ihnen ein notwendiger Zu-
sammenhang, und zwar in der Richtung einer Abhängigkeit der
Erscheinung vom Wesen bestehe. Das meinte Herbart, wenn er
in seiner Sprache immer darauf hinwies: so viel Schein, so viel
Hindeutung auf das Sein. Sobald aber jene Abhängigkeit als
real gedacht wird, spielt das Verhältnis von Wesen und Er-
scheinung in die Kategorie der Kausalität hinüber. Die Er-
scheinung ist so, weil das Wesen so ist: das Wesen wird der
Grund und bald aucb die Ursache der Erscheinung genannt.
Wie stark sich diese Folgerung selbst gegen die ursprüngliche
Absicht des Denkers geltend machen kann, sieht man vielleicht
am deutlichsten an Kants Lehre vom intelligiblen und empiri-
 
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