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W. Windelband.
des im Bewußtsein Bestimmten zur Erscheinung eines prin-
zipiell unbestimmbaren Wesens zu machen. Denn wie der Be-
griff einer gänzlich unerkennbaren Ursache (analog dem einer
gänzlich unerkennbaren Substanz) für das erkenntnismäßige
Begreifen des Bekannten völlig wertlos ist, so kann auch
(worauf Kant selhst deutlich genug hingewiesen hat) der Begriff
des Ding-an-sich als des prinzipiell nie zu erkennenden Wesens
nicht das Cferingste zur Erklärung seiner Erscheinungen bei-
tragen. Daher ist der ahsolute Phänomenalismus, wie er von
den Engländern seit Hamilton unter dem Namen des Agnostizis-
mus vertreten wird, eine erkenntnistheoretisch unhaltbare Po-
sition: und wenn er als ..Philosophie des Bedingten“, weil alles
Denken ein Bedingen sei, das Unbedingte für undenkbar er-
klären muß, so fällt er, wie man es bei Spencer sieht, schließ-
lich mit dem Positivismus zusammen, der, indem er das Un-
bedingte überhaupt leugnet, das kategoriale Verhältnis von
Wesen und Erscheinung von vornherein mit entschlossener
Hartnäckigkeit ablehnt. Irn absoluten Phänomenalismus, für den
alles Bestimmbare Erscheinung wird, kann das Wesen oder das
Ding-an-sich nur die Bolle eines inhaltlosen Begriffs spielen, der
zwar für das Verständnis der geschichtlichen Genealogie einer
solchen Lehre instruktiv genug sein mag, aber in ihr selbst nur
ein rudimentäres, funktionslos gewordenes Organ bildet.
Deshalb muß mit aller Entschiedenheit festgestellt werden,
daß Kants Kritizismus der absolute Phänomenalismus, als den
man ihn vielfach ausgedeutet hat, nicht ist und nicht sein will.
Nur wenn man seine theoretische Philosophie, die Erkenntnis-
lehre, künstlich isoliert und sie willkürlich aus dem Ganzen
herausreißt, worin er sie allein gedacht haben wollte, kann in
der Tenninologie seiner Theorie von der wissenschaftlichen Un-
erkennbarkeit des Ding-an-sich der Schein entstehen, als liätte
man es mit absolutem Phänomenalismus zu tun. Aber es ist zu
bedenken, daß die ,,Wissenschaft“, von der die Kritik der reinen
Vernunft handelt, einzig und allein die mathematische Theorie
der Naturforschung ist, und von dieser wird allerdings gezeigt,
sie sei auf die nach den Gesetzen des Verstandes erzeugte Er-
fahrung und damit auf Erscheinung beschränkt. In dem Ganzen
der Kantischen Philosophie jedoch wird dies „Wissen“ ergänzt
durch die Funktionen der praktischen und der ästhetischen Ver-
nunft. Deren Einsichten aber gelten für Kant (und das ist das
W. Windelband.
des im Bewußtsein Bestimmten zur Erscheinung eines prin-
zipiell unbestimmbaren Wesens zu machen. Denn wie der Be-
griff einer gänzlich unerkennbaren Ursache (analog dem einer
gänzlich unerkennbaren Substanz) für das erkenntnismäßige
Begreifen des Bekannten völlig wertlos ist, so kann auch
(worauf Kant selhst deutlich genug hingewiesen hat) der Begriff
des Ding-an-sich als des prinzipiell nie zu erkennenden Wesens
nicht das Cferingste zur Erklärung seiner Erscheinungen bei-
tragen. Daher ist der ahsolute Phänomenalismus, wie er von
den Engländern seit Hamilton unter dem Namen des Agnostizis-
mus vertreten wird, eine erkenntnistheoretisch unhaltbare Po-
sition: und wenn er als ..Philosophie des Bedingten“, weil alles
Denken ein Bedingen sei, das Unbedingte für undenkbar er-
klären muß, so fällt er, wie man es bei Spencer sieht, schließ-
lich mit dem Positivismus zusammen, der, indem er das Un-
bedingte überhaupt leugnet, das kategoriale Verhältnis von
Wesen und Erscheinung von vornherein mit entschlossener
Hartnäckigkeit ablehnt. Irn absoluten Phänomenalismus, für den
alles Bestimmbare Erscheinung wird, kann das Wesen oder das
Ding-an-sich nur die Bolle eines inhaltlosen Begriffs spielen, der
zwar für das Verständnis der geschichtlichen Genealogie einer
solchen Lehre instruktiv genug sein mag, aber in ihr selbst nur
ein rudimentäres, funktionslos gewordenes Organ bildet.
Deshalb muß mit aller Entschiedenheit festgestellt werden,
daß Kants Kritizismus der absolute Phänomenalismus, als den
man ihn vielfach ausgedeutet hat, nicht ist und nicht sein will.
Nur wenn man seine theoretische Philosophie, die Erkenntnis-
lehre, künstlich isoliert und sie willkürlich aus dem Ganzen
herausreißt, worin er sie allein gedacht haben wollte, kann in
der Tenninologie seiner Theorie von der wissenschaftlichen Un-
erkennbarkeit des Ding-an-sich der Schein entstehen, als liätte
man es mit absolutem Phänomenalismus zu tun. Aber es ist zu
bedenken, daß die ,,Wissenschaft“, von der die Kritik der reinen
Vernunft handelt, einzig und allein die mathematische Theorie
der Naturforschung ist, und von dieser wird allerdings gezeigt,
sie sei auf die nach den Gesetzen des Verstandes erzeugte Er-
fahrung und damit auf Erscheinung beschränkt. In dem Ganzen
der Kantischen Philosophie jedoch wird dies „Wissen“ ergänzt
durch die Funktionen der praktischen und der ästhetischen Ver-
nunft. Deren Einsichten aber gelten für Kant (und das ist das