Über Sinn und Wert des Phänomenalismus.
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Entscheidende ! nicht etwa bloß als Ahnungen des Gefühls, wie
sie von den Biedermeierphilosophen, den Jacobi, Fries oder
Hamilton gedeutet wurden — noch weniger (wie die neueste
pragmatistische Interpretation nahe legen möchte) als zweck-
mäßige Fiktionen, deren praktische Dienlichkeit es rechtfertigte,
daß wir so verfahren, „als ol)“ sie richtig wären, — sondern
vielmehr durchweg als rationale Denknotwendigkeiten des Ver-
nunftlebens in seiner einheitlichen Totalität. Es darf nie ver-
gessen werden, daß für Kant das Fürwahrhalten aus einem
Interesse der Vernunft, sei es in dem moralischen Glauben der
Kritik der praktischen Vernunft, sei es in der teleologischen Be-
trachtung der Urteilskraft, geradeso rational, so notwendig und
allgemeingültig ist wie das Wissen der Ivritik der reinen Ver-
nunft. Man kann diese Auffassung bezweifeln, ihre Begründung
in der kritischen Philosopliie nnzureichend finden: aber man
soll sie nicht ignorieren, wenn man Kant historisch gerecht
werden wiil, — man darf sie nicht vergessen, wenn man die
kritische Art des Phänomenalismus verstehen will.
Denn diese ist danach keineswegs der absolute, sondern
wiederum ein partieller Phänomenalismus. Im Ganzen der Kan-
tischen Weltanschauung sind AVesen und Erscheinung beide
wieder inhaltlich bestimmt. Wie die Naturforschung zwischen
sinnlicher und mathematischer, wie der Platonismus zwischen
sinnlicher und logischer Weltvorstellung, so unterscheidet der
Kritizismus zwischen theoretischer und praktisch-ästhetischer
Weltvorstellung. In allen drei Fällen ist das eine Glied der Dis-
junktion auf die Welt als Erscheinung, auf die sekundäre, aber
darum nicht minder wirkliche AVirklichkeit angewiesen, in der
das von der anderen Erkenntnisweise zu ergreifende Wesen, die
primäre Realität, erscheint und sicb darstellt. Immer stehen die
beiden Welten der erscheinenden und der wahren Wirklichkeit
korrelativ zu zwei verschiedenen Erkenntnisweisen.
Die inhaltliche Bestimmung nun von Ding-an-sich und Er-
scheinung fmdet Kant in dem Gegensatz des Übersinnlichen und
des Sinnlichen: und alle Schwierigkeiten für das Verständnis
seines Phänomenalismus erwachsen aus der mehrdeutigen Flüssig-
keit dieser beiden Begriffe. In der rein theoretischen Sprache
der Kritik der reinen Vernunft ist das Sinnliche identisch mit
dem Erfahrbaren; da gehört das Seelische als Objekt des inneren,
Sinnes ganz und gar in den Bereich der „Sinnlichkeit“ hinein:
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Entscheidende ! nicht etwa bloß als Ahnungen des Gefühls, wie
sie von den Biedermeierphilosophen, den Jacobi, Fries oder
Hamilton gedeutet wurden — noch weniger (wie die neueste
pragmatistische Interpretation nahe legen möchte) als zweck-
mäßige Fiktionen, deren praktische Dienlichkeit es rechtfertigte,
daß wir so verfahren, „als ol)“ sie richtig wären, — sondern
vielmehr durchweg als rationale Denknotwendigkeiten des Ver-
nunftlebens in seiner einheitlichen Totalität. Es darf nie ver-
gessen werden, daß für Kant das Fürwahrhalten aus einem
Interesse der Vernunft, sei es in dem moralischen Glauben der
Kritik der praktischen Vernunft, sei es in der teleologischen Be-
trachtung der Urteilskraft, geradeso rational, so notwendig und
allgemeingültig ist wie das Wissen der Ivritik der reinen Ver-
nunft. Man kann diese Auffassung bezweifeln, ihre Begründung
in der kritischen Philosopliie nnzureichend finden: aber man
soll sie nicht ignorieren, wenn man Kant historisch gerecht
werden wiil, — man darf sie nicht vergessen, wenn man die
kritische Art des Phänomenalismus verstehen will.
Denn diese ist danach keineswegs der absolute, sondern
wiederum ein partieller Phänomenalismus. Im Ganzen der Kan-
tischen Weltanschauung sind AVesen und Erscheinung beide
wieder inhaltlich bestimmt. Wie die Naturforschung zwischen
sinnlicher und mathematischer, wie der Platonismus zwischen
sinnlicher und logischer Weltvorstellung, so unterscheidet der
Kritizismus zwischen theoretischer und praktisch-ästhetischer
Weltvorstellung. In allen drei Fällen ist das eine Glied der Dis-
junktion auf die Welt als Erscheinung, auf die sekundäre, aber
darum nicht minder wirkliche AVirklichkeit angewiesen, in der
das von der anderen Erkenntnisweise zu ergreifende Wesen, die
primäre Realität, erscheint und sicb darstellt. Immer stehen die
beiden Welten der erscheinenden und der wahren Wirklichkeit
korrelativ zu zwei verschiedenen Erkenntnisweisen.
Die inhaltliche Bestimmung nun von Ding-an-sich und Er-
scheinung fmdet Kant in dem Gegensatz des Übersinnlichen und
des Sinnlichen: und alle Schwierigkeiten für das Verständnis
seines Phänomenalismus erwachsen aus der mehrdeutigen Flüssig-
keit dieser beiden Begriffe. In der rein theoretischen Sprache
der Kritik der reinen Vernunft ist das Sinnliche identisch mit
dem Erfahrbaren; da gehört das Seelische als Objekt des inneren,
Sinnes ganz und gar in den Bereich der „Sinnlichkeit“ hinein: