Über Sinn und Wert des Phänomenalismus.
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die Verwirklichung der Ideen in den Erscheinungen ankommt.
Der Gegensatz beider Richtungen zieht sich, wie durch die Logik,
so auch durch die ganze Metaphysik und die Ethik Platons hin.
Ähnlich steht es hei Kant mit denr Verhältnis zwischen dem
Übersinnlichen und dem Sinnlichen. Die Scheidung üherwiegt
in der theoretischen und in den Anfängen der praktischen Philo-
sophie: mit den ästhetischen und den religiösen Lehren dringt,
getragen von dem Prinzip der historischen Entwicklung, immer
rnehr die Verwirklichung des Übersinnlichen in der Sinnenwelt
als gestaltender Grundgedanke durch. Darnit aber schwächt sich
notwendig auch der schroffe Dualismus, der anfänglich zwischen
Sinnlichkeit und Vernunft hatte walten sollen: und wenn dessen
Aufstellung gegen die Leibniz-Wolffsche Philosophie gerichtet ge-
wesen war, so verstand Ivant später immer tiefer die nahen Be-
ziehungen seiner Lehre zu der von Leihniz selbst. In der Streit-
schrift gegen Eberliard ließ er das deutlich erkennen. Und in
dieser Richtung ist die Entwicklung über Kant hinaus fortge-
schritten: der Dualismus wurde durch die Aiifnaimie des Leib-
nizschen Prinzips der Kontinuität modifiziert. Das verlangten,
ohne es leisten zu können, Hamann und Herder; das begann
mit Salomon Maimons Theorie der Differentiale des Bewußtseins,
das herrschte in Fichtes Wissenschaftslehre, wo hereits die
Schranken zwischen den Anschauungen von Raum und Zeit
und den Kategorien niedergerissen und beide in einer Linie ent-
wickelt wurden, und das kam zum vollen Austrag in Schellings
„transzendentalem Idealismus“, in welchem mit ausgiebiger Be-
nutzung und durchgängiger Verarbeitung der Leibnizschen Be-
griffe die Reste des Ivantischen Phänomenalismus von der idea-
listischen Metaphysik abgestreift wurden.
Wollen wir aus diesen historisch-kritischen Erwägungen das
Ergehnis ziehen, so hat siclr gezeigt, daß ein absoluter Phäno-
menalismus unmöglicli und auch hei Kant nicht zu fmden ist.
Das Verhältnis zwischen Ding-an-sich und Erscheinung schien das
letzte Wort der theoretischen Philosophie zu sein: aber es ist
nicht das letzte Wort der Philosophie überhaupt. Es ist nicht
die Kategorie, welche den Begriff der Wahrheit als des Verhält-
nisses von Sein und Bewußtsein in letzter Instanz bestimmt.
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die Verwirklichung der Ideen in den Erscheinungen ankommt.
Der Gegensatz beider Richtungen zieht sich, wie durch die Logik,
so auch durch die ganze Metaphysik und die Ethik Platons hin.
Ähnlich steht es hei Kant mit denr Verhältnis zwischen dem
Übersinnlichen und dem Sinnlichen. Die Scheidung üherwiegt
in der theoretischen und in den Anfängen der praktischen Philo-
sophie: mit den ästhetischen und den religiösen Lehren dringt,
getragen von dem Prinzip der historischen Entwicklung, immer
rnehr die Verwirklichung des Übersinnlichen in der Sinnenwelt
als gestaltender Grundgedanke durch. Darnit aber schwächt sich
notwendig auch der schroffe Dualismus, der anfänglich zwischen
Sinnlichkeit und Vernunft hatte walten sollen: und wenn dessen
Aufstellung gegen die Leibniz-Wolffsche Philosophie gerichtet ge-
wesen war, so verstand Ivant später immer tiefer die nahen Be-
ziehungen seiner Lehre zu der von Leihniz selbst. In der Streit-
schrift gegen Eberliard ließ er das deutlich erkennen. Und in
dieser Richtung ist die Entwicklung über Kant hinaus fortge-
schritten: der Dualismus wurde durch die Aiifnaimie des Leib-
nizschen Prinzips der Kontinuität modifiziert. Das verlangten,
ohne es leisten zu können, Hamann und Herder; das begann
mit Salomon Maimons Theorie der Differentiale des Bewußtseins,
das herrschte in Fichtes Wissenschaftslehre, wo hereits die
Schranken zwischen den Anschauungen von Raum und Zeit
und den Kategorien niedergerissen und beide in einer Linie ent-
wickelt wurden, und das kam zum vollen Austrag in Schellings
„transzendentalem Idealismus“, in welchem mit ausgiebiger Be-
nutzung und durchgängiger Verarbeitung der Leibnizschen Be-
griffe die Reste des Ivantischen Phänomenalismus von der idea-
listischen Metaphysik abgestreift wurden.
Wollen wir aus diesen historisch-kritischen Erwägungen das
Ergehnis ziehen, so hat siclr gezeigt, daß ein absoluter Phäno-
menalismus unmöglicli und auch hei Kant nicht zu fmden ist.
Das Verhältnis zwischen Ding-an-sich und Erscheinung schien das
letzte Wort der theoretischen Philosophie zu sein: aber es ist
nicht das letzte Wort der Philosophie überhaupt. Es ist nicht
die Kategorie, welche den Begriff der Wahrheit als des Verhält-
nisses von Sein und Bewußtsein in letzter Instanz bestimmt.