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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 9. Abhandlung): Über Sinn und Wert des Phänomenalismus: Festrede — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32884#0024
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W. Windelband.

Aber das Bedeutsame des kritischen Phänomerialismus, wo-
durch er über sich selbst hinaus trieb, war an einem anderen
Punkte zu finden. Das intimste Motiv der Dualität lag schließ-
lich darin, daß nach Ivant das theoretische Wissen auf spezifisch’
menschlichen Vorstellungsweisen, das praktische Bewußtsein
dagegen auf Vernunftnotwendigkeiten heruhe, die für „alle ver-
nünftigen Wesen“ in gleicher Weise gelten. Diese Wert-
scheidung zwischen theoretischen und praktischen Prinzipien
ist der entscheidende Punkt, von dem aus man zum Kantianis-
mus Stellung zu nehmen hat. In gewissem Sinne ist sie ftir die
allgemeine Meinung paradox: diese glaubt eher der gegen-
teiligen Erfahrung sicher zu sein, daß im Erkennen immer noch
mehr allgemein Vernünftiges erworben sei als in den Be-
stimmungen des Willenslebens. Und die Position Kants, die
etwas Persönliches, z. T. aucli in seiner Entwicklung Be-
gründetes an sich hat, ist eben deshalb nicht haltbar. Entweder
muß auch unser praktisches Werten als ein in den Bedingungen
des menschlichen Wesens begründetes und deshalb darauf be-
schränktes Verhalten betrachtet werden, — oder es mtissen auch
in unserm theoretischen Leben Momente anerkannt werden, die
eine über diese Bedingungen des menschlichen Wesens hinaus-
reichende Wahrheit besitzen.
Damit, sind die beiden Wege bezeichnet, auf denen die
weitere Entwicklung über Kants Dualismus hinausgehen kann.
Erweitert sich die anthropologische Auffassung von dem theore-
tischen Gebiet aus über die Gesamtheit der Weltanschauung, so
geht dieser Anthropologismus unaufhaltsam in Relativismus und
Pragmatismus aus. Und andererseits: erobert das universelle
Prinzip von Kants praktischer Philosophie auch das Reich der
theoretischen Vernunft, indem auch deren Prinzipien als über
den Menschen hinaus für das Wesen der Wirklichkeit selbst
gültig angesehen werden, so eröffnet sich der Weg zu einer
Metaphysik des Geistes.
Bei Kant selbst stand der letztere Weg weit eher offen als
der erstere. Von dem Werte des kategorischen Imperativs als
des Grundgesetzes der intelligiblen Welt war er felsenfest über-
zeugt; hier gab es für ihn keine Möglichkeit der Vermenschlichung:
dagegen traf der Anthropologismus seiner theoretischen Lehre
nicht für alle Momente der Erkenntnis gleichmäßig zu. Vollständig
galt er eigentlich nur für die Anschauungsformen Raum und Zeit,
 
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