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Josef Partsch:
über dem clominus haben, wenn dieser nicht selbst den Auftrag
erteilt hatte. Aus diesem Grunde scheint in den Digesten mannig-
fach statt sine mandatu eine Beziehung auf den dominus einge-
setzt zu sein, die dem justinianischen Rechtszustande mehr ent-
spricht. Da schon nach klassischem Recht ,,auch der nichts
ahnende“ dominus verpflichtet wird, wird dieser Ausdruck inter-
poliert. Warum die Byzantiner gerade diesen Gedanken her-
vorheben, das erklärt sich wohl aus ihrer Dogmatik des Obli-
gationenrechts: wenn die Regel gilt, daß bei den Kontrakten
alle Obligationen aus einem Willensakte des Schuldners ent-
springen, wenn andererseits die negotiorum gestio als Quasi-
kontrakt behandelt wird, dann ist es der Erwähnung wert, daß
bei der negotiorum gestio der dominus auch ohne Wissen und
Willen verpflichtet wird 1. Mit Rücksicht auf die byzantinische
Schultheorie ist wohl die Yeränderung zu erklären, die bisher
in D. 3, 5, 2 (Gai. ad ed. prov. 3) nicht auffiel: Si quis absentis
negotia gesserit [licet ignorantis tamen] (G: sine mandatu gesserit)
quidquid in rem eius utiliter impenderit vel etiam ipse se in rem
absentis alicui obligavit, [habeat] eo nomine actionem (G: eo no-
mine praetor pollicetur actionem): [itaque eo casu ultro citroque
nascitur actio quae appellatur negotiorum gestorum (del. Trib.
Segre)].
Licet ignorantis tamen ist hier schlechtes Latein; denn das
tamen bezieht sich hier nicht auf einen vorausgehenden Konzes-
sivsatz, sondern nur auf die Worte ,,Iicet ignorantis“. Grammatisch
ist diese Bezieliung der Konjunktion Licet auf ein Partizip wie
1 Über diese Theorie der Byzantiner vgd. Schol. ad Bas. 14, 1, 5 n. 2
(Iieimb. 2, 71) D. 17, 1, 5, 2. Rotondi, bull. 24, 114. Collinet, Etudes
historiques sur le Droit de Justinien 1,197f. Bei der negotiorum gestio tritt die
byzantinische Herkunft dieses Gedankens, daß der dominus als ignorans kon-
trahiere, durch die Interpolationen hervor: D. 44, 7, 5 pr. ,,Longe magis is
cuius negotia gesta sunt, ignorans aut contraxisse aut deliquisse intellegi
potest.“ — Inst. 3, 27, 1: ex qua causa ii quorum negotia gesta fuerint etiam
ignorantes obligantur. In der Institutionenparaphrase wird es deutlich,
daß dieser Gedanke bestimmt ist, diese Eigentiimlichkeit der negotiorum
gestio in Gegensatz zu den Kontrakten zu stellen.
Es fällt auf, daß die Palingenesie der Institutionen bisher die sichere
Interpolation der hervorgehobenen Sätze nicht beriicksichtigt hat (vgl.
Zocca-Rosa, annuario Catania 1910/11 S. 37 ff.). Sie ist vorlängst be-
hauptet (vgl. Grupe, Zeitschr. Sav.-Stiftg. 17, 319, 18, 219. Perozzi, Le
obbligazioni romane 1903, 147 Anm.; vgl. auch Betti, Sul significato di
„contrahere“ in Gaio, Sanseverino-Marche 1912 p. 12 ff.)
Josef Partsch:
über dem clominus haben, wenn dieser nicht selbst den Auftrag
erteilt hatte. Aus diesem Grunde scheint in den Digesten mannig-
fach statt sine mandatu eine Beziehung auf den dominus einge-
setzt zu sein, die dem justinianischen Rechtszustande mehr ent-
spricht. Da schon nach klassischem Recht ,,auch der nichts
ahnende“ dominus verpflichtet wird, wird dieser Ausdruck inter-
poliert. Warum die Byzantiner gerade diesen Gedanken her-
vorheben, das erklärt sich wohl aus ihrer Dogmatik des Obli-
gationenrechts: wenn die Regel gilt, daß bei den Kontrakten
alle Obligationen aus einem Willensakte des Schuldners ent-
springen, wenn andererseits die negotiorum gestio als Quasi-
kontrakt behandelt wird, dann ist es der Erwähnung wert, daß
bei der negotiorum gestio der dominus auch ohne Wissen und
Willen verpflichtet wird 1. Mit Rücksicht auf die byzantinische
Schultheorie ist wohl die Yeränderung zu erklären, die bisher
in D. 3, 5, 2 (Gai. ad ed. prov. 3) nicht auffiel: Si quis absentis
negotia gesserit [licet ignorantis tamen] (G: sine mandatu gesserit)
quidquid in rem eius utiliter impenderit vel etiam ipse se in rem
absentis alicui obligavit, [habeat] eo nomine actionem (G: eo no-
mine praetor pollicetur actionem): [itaque eo casu ultro citroque
nascitur actio quae appellatur negotiorum gestorum (del. Trib.
Segre)].
Licet ignorantis tamen ist hier schlechtes Latein; denn das
tamen bezieht sich hier nicht auf einen vorausgehenden Konzes-
sivsatz, sondern nur auf die Worte ,,Iicet ignorantis“. Grammatisch
ist diese Bezieliung der Konjunktion Licet auf ein Partizip wie
1 Über diese Theorie der Byzantiner vgd. Schol. ad Bas. 14, 1, 5 n. 2
(Iieimb. 2, 71) D. 17, 1, 5, 2. Rotondi, bull. 24, 114. Collinet, Etudes
historiques sur le Droit de Justinien 1,197f. Bei der negotiorum gestio tritt die
byzantinische Herkunft dieses Gedankens, daß der dominus als ignorans kon-
trahiere, durch die Interpolationen hervor: D. 44, 7, 5 pr. ,,Longe magis is
cuius negotia gesta sunt, ignorans aut contraxisse aut deliquisse intellegi
potest.“ — Inst. 3, 27, 1: ex qua causa ii quorum negotia gesta fuerint etiam
ignorantes obligantur. In der Institutionenparaphrase wird es deutlich,
daß dieser Gedanke bestimmt ist, diese Eigentiimlichkeit der negotiorum
gestio in Gegensatz zu den Kontrakten zu stellen.
Es fällt auf, daß die Palingenesie der Institutionen bisher die sichere
Interpolation der hervorgehobenen Sätze nicht beriicksichtigt hat (vgl.
Zocca-Rosa, annuario Catania 1910/11 S. 37 ff.). Sie ist vorlängst be-
hauptet (vgl. Grupe, Zeitschr. Sav.-Stiftg. 17, 319, 18, 219. Perozzi, Le
obbligazioni romane 1903, 147 Anm.; vgl. auch Betti, Sul significato di
„contrahere“ in Gaio, Sanseverino-Marche 1912 p. 12 ff.)