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Richard Reitzenstein:
stolzen Griechen gegenüber dem römischen Gewaltherrn, und dieser
Freimut äußert sich besonders in dem dritten Martyrium, dem des
Appianos, in einer Weise, die gar nicht zu überbieten ist. Leider
vereinigt er sich hier mit einer bedenklichen Unkenntnis römischer
Rechtseinrichtungen, und doch liegt die Zeit der uns erhaltenen
Abschrift ganz nahe an dem Ereignis selbst.
Daß die drei ‘Martyrien’ gleichartig sind und alle drei in
gewissem Sinne ‘Literatur’ sein wollen, gibt Wilcken a. a. 0. jetzt
zu, nur schließt er aus der Protokollform, daß allen dreien
ein echtes amtliches Protokoll zugrunde iiege, das nur stärker
oder schwächer überarbeitet sei 1. Ich habe dies schon früher be-
stritten und behauptet, diese Form allein beweise das nicht.
Wenn schon zur Zeit des Claudius eine Literatur bestehe, welche
diese Form in sich aufnehme oder nachahme, so könne die Form an
sich im einzelnen Fah auch fictiv sein. Daß Wilcken dies dahin
deutet, ich hätte die ‘Akten’ für gefälscht erklärt, und wieder
hieraus zu schließen scheint, ich hätte die Ereignisse selbst als
erfunden bezeichnet, begreift sich leicht aus der unglücklichen
Verwenclung der Worte ‘echt’ und ‘gefälscht’ in den Besprechungen
christlicher Märtyrerakten. Es handelt sich zunächst nur darum,
ob ein erzählender Bericht die Aktenform nachahmt; wie weit
er wirldichen Ereignissen entspricht und tendenziös gefärbt ist
oder treue Erinnerung bietet, ist eine andere, nur im Einzelfall
zu entscheidende Frage. Nur daß clie Form konventionell ist oder
konventionell sein kann, gilt es zu beweisen.
In dem Appianos-Martyrium wird ein Wortwechsel des Kaisers
Commodus mit dem Gymnäsiarchen von Alexandria, Appianos,
bericlitet, Dann heißt es Col. II 13 Kouaap sxsZsuaev klitov a7ta-
yhy] vai. ’ATrmavöp a7Tayopsvop sIttsv. Schon das erweckt mir in
einem Protokoll Bedenken; das Todesurteil, das entsclreidende
richterliche Wort, müßte nach meinem Empfinden in direkter
Rede verzeichnet sein; ich höre in dieser Art der Angabe und in
dem Zusatz aTrayopsvoc; den Ton der Erzählung, nicht der
Urkunde. Dann f'olgen die Reden: 'Kcd touto yjpoov ydpiaat.,
xupis Kaiaap. auToxpdTa)p• Tt; ’A7T7uav6p‘ KsXsuaov ps sv tyj
suysvsla gou a7TayFrjVaL auTOXpaTCop’ vEys. ’ATTTuavöp Xaßcov tÖ
aTpocpiov E7cl t9]<; xscpaXyjp EB-pxsv, xal to cpaixaaiov S7U tou«;
1 Es müßte dann nach ihm das Protokoll der kaiserlichen Kanzlei sein,
das dem Yerurteilten selbst oder seinen Hinterbliebenen zugänglich gemacht
wurde.
Richard Reitzenstein:
stolzen Griechen gegenüber dem römischen Gewaltherrn, und dieser
Freimut äußert sich besonders in dem dritten Martyrium, dem des
Appianos, in einer Weise, die gar nicht zu überbieten ist. Leider
vereinigt er sich hier mit einer bedenklichen Unkenntnis römischer
Rechtseinrichtungen, und doch liegt die Zeit der uns erhaltenen
Abschrift ganz nahe an dem Ereignis selbst.
Daß die drei ‘Martyrien’ gleichartig sind und alle drei in
gewissem Sinne ‘Literatur’ sein wollen, gibt Wilcken a. a. 0. jetzt
zu, nur schließt er aus der Protokollform, daß allen dreien
ein echtes amtliches Protokoll zugrunde iiege, das nur stärker
oder schwächer überarbeitet sei 1. Ich habe dies schon früher be-
stritten und behauptet, diese Form allein beweise das nicht.
Wenn schon zur Zeit des Claudius eine Literatur bestehe, welche
diese Form in sich aufnehme oder nachahme, so könne die Form an
sich im einzelnen Fah auch fictiv sein. Daß Wilcken dies dahin
deutet, ich hätte die ‘Akten’ für gefälscht erklärt, und wieder
hieraus zu schließen scheint, ich hätte die Ereignisse selbst als
erfunden bezeichnet, begreift sich leicht aus der unglücklichen
Verwenclung der Worte ‘echt’ und ‘gefälscht’ in den Besprechungen
christlicher Märtyrerakten. Es handelt sich zunächst nur darum,
ob ein erzählender Bericht die Aktenform nachahmt; wie weit
er wirldichen Ereignissen entspricht und tendenziös gefärbt ist
oder treue Erinnerung bietet, ist eine andere, nur im Einzelfall
zu entscheidende Frage. Nur daß clie Form konventionell ist oder
konventionell sein kann, gilt es zu beweisen.
In dem Appianos-Martyrium wird ein Wortwechsel des Kaisers
Commodus mit dem Gymnäsiarchen von Alexandria, Appianos,
bericlitet, Dann heißt es Col. II 13 Kouaap sxsZsuaev klitov a7ta-
yhy] vai. ’ATrmavöp a7Tayopsvop sIttsv. Schon das erweckt mir in
einem Protokoll Bedenken; das Todesurteil, das entsclreidende
richterliche Wort, müßte nach meinem Empfinden in direkter
Rede verzeichnet sein; ich höre in dieser Art der Angabe und in
dem Zusatz aTrayopsvoc; den Ton der Erzählung, nicht der
Urkunde. Dann f'olgen die Reden: 'Kcd touto yjpoov ydpiaat.,
xupis Kaiaap. auToxpdTa)p• Tt; ’A7T7uav6p‘ KsXsuaov ps sv tyj
suysvsla gou a7TayFrjVaL auTOXpaTCop’ vEys. ’ATTTuavöp Xaßcov tÖ
aTpocpiov E7cl t9]<; xscpaXyjp EB-pxsv, xal to cpaixaaiov S7U tou«;
1 Es müßte dann nach ihm das Protokoll der kaiserlichen Kanzlei sein,
das dem Yerurteilten selbst oder seinen Hinterbliebenen zugänglich gemacht
wurde.