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Richard Reitzenstein:
spruch ist doch nicht etwas dem Historiker Gleichgültiges, bei
dem es auf einen Satz mehr oder weniger nicht ankommt. Er ist
nicht eigentlich das Ergebnis des Verhörs, sondern vorher sorg-
führt Harnack dazu, das Ereignis selbst unter Mark Aurei zu datieren,
und er erweist, daß das ältere Schriftstück an sich nichts enthält, was in
dieser Zeit ganz unmöglich wäre (freilich ist auch keine andere, wenigstens
bis zur letzten Verfolgung, ausgeschlossen). Damit ist der Beweis der ‘Echt-
heit’ erbracht, und nun folgt zunächst, daß das uns erhaltene Stück schon
dem Eusebios vorgelegen hat, der nur ‘echte’ Akten benutzt haben kann, und
hieraus wieder, daß es die Verhandlung wortgetreu und den Hergang mit abso-
luter Genauigkeit berichtet, wiewohl von den Formen der Predigt sehr viel mehr
als von denen eines Protokolls zu spüren ist. Daß der ganze unklare, ja wirre
Schlußbericht über Agathonike von einer Erzählung der Thekla-Legende beein-
flußt ist, ändert daran nichts; literarische Einwirkungen der Apologeten werden
abgelehnt; daß ein im Munde des Karpus so affektierter, oder wenigstens
unwahrscheinlich pointierter Satz, wie oi ££>vteq roiq vexpoig oö &\>ovoiv,
wörtlich im zweiten Clemens-Brief (3,1) wiederkehrt, und zwar hier in na-
türlicher Gedankenentwicklung, darf uns nicht beirren. Jede Einzelheit
aus der relativ späten Handschrift wird unbedenklich für die ‘Urkunde’ aus
der Zeit Mark Aurels in Anspruch genommen. Wenn z. B. dort v. 40 gesagt
wird 6 öLyioc, Kapiro«;, so darf die Bezeichnung ayio<;, die wirklich in
einem solchen Text jeder Abschreiber zufügen konnte, ‘nicht auffallen’:
v. 17 werden ja die Christen ot &yioi genannt (6 StdcßoXo?. . xaxaTae^ogs-
vo<; uttö tSv äytwv toÜtocc; ävTayom^eTai) und auch aus v. 47
ä-sScüxev tö 7iveüg,a xa'c eTekeccv-O-Y) aüv tocc, äycocc, erkennt man •— wenig-
stens nach Harnack — die in der Frühzeit häufige, später aber seitene Be-
zeichnung derChristen, die nun ebenso das vermeintliche Alter der ‘Urkunde’
datieren soll, wie sie jetzt sogar die Abfassung der Apostelgeschichte bei
Lebzeiten des Paulus mitbeweisen soll. Ich gehe auf die Fehlgriffe dieser Inter-
pretation nicht ein. Die Freiheit bei der Abfassung solcher Berichte halte
ich für beträchtlich größer, als Harnack zugab, betone aber vor allern ihre
beständige Umgestaltung in der Überlieferung. Unbeweisbar, ja sachlich
unmöglich ist jede zeitliche Scheidung (etwa: bis zu Eusebios nur ‘echte’
Urkunden, von da an Fälschung), verwirrend der ganze Begriff der Authentie.
Es gilt, um eine Methode der Behandlung zu finden, die Formen dieser
Literatur zu scheiden und ihre Gesetze zu untersuchen. Daß sie dadurch
zur ‘Makulatur’ wird, ist eine der leidenschaftlichen Übertreibungen,
die nur der Sache schaden, der wir, Theologe wie Philologe, gemeinsam
nach unsern Kräften dienen. Ich kann nicht finden, daß die Erzählungen
von Cyprian oder gar von Acacius bei meiner Auffassung an historischem
Interesse verlieren, und hoffe, daß sie auch religiöse Empfindungen nicht
verletzt. Es wird um kein Heiligtum hier gefochten, höchstens darum,
der Fülle der ‘Akten’, denen man die ‘Urkundlichkeit’ abgesprochen hat,
den Wert als literarische Denkmäler der späteren Zeit zurückzugeben. In
diesem Sinne kann selbst eine direkte Fälschung, wie es das Testament der
vierzig Märtyrer meiner Überzeugung nach ist, Wichtigkeit gewinnen.
Richard Reitzenstein:
spruch ist doch nicht etwas dem Historiker Gleichgültiges, bei
dem es auf einen Satz mehr oder weniger nicht ankommt. Er ist
nicht eigentlich das Ergebnis des Verhörs, sondern vorher sorg-
führt Harnack dazu, das Ereignis selbst unter Mark Aurei zu datieren,
und er erweist, daß das ältere Schriftstück an sich nichts enthält, was in
dieser Zeit ganz unmöglich wäre (freilich ist auch keine andere, wenigstens
bis zur letzten Verfolgung, ausgeschlossen). Damit ist der Beweis der ‘Echt-
heit’ erbracht, und nun folgt zunächst, daß das uns erhaltene Stück schon
dem Eusebios vorgelegen hat, der nur ‘echte’ Akten benutzt haben kann, und
hieraus wieder, daß es die Verhandlung wortgetreu und den Hergang mit abso-
luter Genauigkeit berichtet, wiewohl von den Formen der Predigt sehr viel mehr
als von denen eines Protokolls zu spüren ist. Daß der ganze unklare, ja wirre
Schlußbericht über Agathonike von einer Erzählung der Thekla-Legende beein-
flußt ist, ändert daran nichts; literarische Einwirkungen der Apologeten werden
abgelehnt; daß ein im Munde des Karpus so affektierter, oder wenigstens
unwahrscheinlich pointierter Satz, wie oi ££>vteq roiq vexpoig oö &\>ovoiv,
wörtlich im zweiten Clemens-Brief (3,1) wiederkehrt, und zwar hier in na-
türlicher Gedankenentwicklung, darf uns nicht beirren. Jede Einzelheit
aus der relativ späten Handschrift wird unbedenklich für die ‘Urkunde’ aus
der Zeit Mark Aurels in Anspruch genommen. Wenn z. B. dort v. 40 gesagt
wird 6 öLyioc, Kapiro«;, so darf die Bezeichnung ayio<;, die wirklich in
einem solchen Text jeder Abschreiber zufügen konnte, ‘nicht auffallen’:
v. 17 werden ja die Christen ot &yioi genannt (6 StdcßoXo?. . xaxaTae^ogs-
vo<; uttö tSv äytwv toÜtocc; ävTayom^eTai) und auch aus v. 47
ä-sScüxev tö 7iveüg,a xa'c eTekeccv-O-Y) aüv tocc, äycocc, erkennt man •— wenig-
stens nach Harnack — die in der Frühzeit häufige, später aber seitene Be-
zeichnung derChristen, die nun ebenso das vermeintliche Alter der ‘Urkunde’
datieren soll, wie sie jetzt sogar die Abfassung der Apostelgeschichte bei
Lebzeiten des Paulus mitbeweisen soll. Ich gehe auf die Fehlgriffe dieser Inter-
pretation nicht ein. Die Freiheit bei der Abfassung solcher Berichte halte
ich für beträchtlich größer, als Harnack zugab, betone aber vor allern ihre
beständige Umgestaltung in der Überlieferung. Unbeweisbar, ja sachlich
unmöglich ist jede zeitliche Scheidung (etwa: bis zu Eusebios nur ‘echte’
Urkunden, von da an Fälschung), verwirrend der ganze Begriff der Authentie.
Es gilt, um eine Methode der Behandlung zu finden, die Formen dieser
Literatur zu scheiden und ihre Gesetze zu untersuchen. Daß sie dadurch
zur ‘Makulatur’ wird, ist eine der leidenschaftlichen Übertreibungen,
die nur der Sache schaden, der wir, Theologe wie Philologe, gemeinsam
nach unsern Kräften dienen. Ich kann nicht finden, daß die Erzählungen
von Cyprian oder gar von Acacius bei meiner Auffassung an historischem
Interesse verlieren, und hoffe, daß sie auch religiöse Empfindungen nicht
verletzt. Es wird um kein Heiligtum hier gefochten, höchstens darum,
der Fülle der ‘Akten’, denen man die ‘Urkundlichkeit’ abgesprochen hat,
den Wert als literarische Denkmäler der späteren Zeit zurückzugeben. In
diesem Sinne kann selbst eine direkte Fälschung, wie es das Testament der
vierzig Märtyrer meiner Überzeugung nach ist, Wichtigkeit gewinnen.