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Richard Reitzenstein:
ungeheure Nachdruck, den der zweite Teil der Schrift über Cyprian
darauf legt, daß auch dieser einer Offenbarung gewürdigt
wurde, die ganz genau bis in die kleinsten Einzelzüge voraus-
verkündete, was wirklich eingetreten ist. Die ganze Darstel-
lung der passio beruht darauf. Selbst das Interesse an
dem Bekenntnis tritt diesern Gesichtspunkt gegenüber zurück.
Gerade er aber erklärt sich aus der beabsichtigten Rivalität mit
der Perpetua-passio. Daß sie in der Schilderung selbst und in
einzelnen Wendungen beständig benutzt ist, hatte schon Ruinart
erkannt, und ihm entnimmt Harnack auch eine Anmerkung
zu der eben besprochenen Stelle über die ausführlichen Bücher
über die passio von plebeii et catechumeni: gemeint seien in erster
Linie die Acta Perpetuae 1. Den Schluß, daß dies Buch direkt
nachgeahmt und überboten werden soll, hat er leider nicht ge-
zogen; die ganze Bemerkung bleibt unfruchtbar 2. Hierzu tritt
ein weiterer methodischer Fehler. Als Titel und Inhalt gibt Hierony-
mus bekanntlich an: vita et passio Cypriani, ebenso eine Anzahl
von jüngeren Handschriften; von den ältesten wissen wir nichts 3.
Diese Angabe paßt wunderbar zu der oben ausgeschriebenen Ein-
leitung durum erat ut, cum maiores de aliorum p assionibus multa
conscripserint, Cypriani passio praeteriretur, qui et sine martyrio
habuit qua.e doceret, und in der Ausführung behandeln wirklich
zwei gleich lange, klar voneinander abgehobene Teile die vita
und die passio. Die Behauptung, der Yerfasser liabe nur eine
Biographie schreiben wollen und habe für die christliche Bio-
graphie einen neuen literarischen Typus mit genialer Kunst ge-
schaffen, bedurfte dann irgend welchen Beweises. Ich finde keinen.
Weder bietet ihn der Verweis auf Franz Kempers 4 ergebnislose
1 Sehr unglücklich fügt er gegen seine Quelle bei: ‘vielleicht auch die
Acta Scüitanorurn’. Die sind weder ein Buch, noch ausführlich, noch ent-
halten sie Yisionen, welche die dignatio vor Gott betonen.
2 Ebenso der Vergleich der Einleitungssätze S. 46 A.
3 Vita et passio betitelt es Ruinart, Vita et martyrium Vatic. 198 (XV.
Jahrh.), nur Vita Vatic. 6150 (XVI. Jahrh.). Wäre nicht eine kurze Anfrage
über den Titel der bekannten Handschriften wenigstens für den notwendig
gewesen, der ohne jede Begründung den von Hieronymus einigermaßen
bezeugten Titel abändern wollte ?
4 De vitarum Cypriani, Martini Turonensis, Ambrosii, Augustini rationi-
bus, Münster 1904. An der Vergleichung der christlichen Heiligenliteratur
mit der antiken Biographie ist selbst ein sehr viel tüchtigerer junger Forscher,
Hans Mertel (Die biographische Form der griechischen Heiligenleben,
Münster 1909, vgl. K. Holls hierin richtige Kritik in Jahrbiicher f. d.klass.
Richard Reitzenstein:
ungeheure Nachdruck, den der zweite Teil der Schrift über Cyprian
darauf legt, daß auch dieser einer Offenbarung gewürdigt
wurde, die ganz genau bis in die kleinsten Einzelzüge voraus-
verkündete, was wirklich eingetreten ist. Die ganze Darstel-
lung der passio beruht darauf. Selbst das Interesse an
dem Bekenntnis tritt diesern Gesichtspunkt gegenüber zurück.
Gerade er aber erklärt sich aus der beabsichtigten Rivalität mit
der Perpetua-passio. Daß sie in der Schilderung selbst und in
einzelnen Wendungen beständig benutzt ist, hatte schon Ruinart
erkannt, und ihm entnimmt Harnack auch eine Anmerkung
zu der eben besprochenen Stelle über die ausführlichen Bücher
über die passio von plebeii et catechumeni: gemeint seien in erster
Linie die Acta Perpetuae 1. Den Schluß, daß dies Buch direkt
nachgeahmt und überboten werden soll, hat er leider nicht ge-
zogen; die ganze Bemerkung bleibt unfruchtbar 2. Hierzu tritt
ein weiterer methodischer Fehler. Als Titel und Inhalt gibt Hierony-
mus bekanntlich an: vita et passio Cypriani, ebenso eine Anzahl
von jüngeren Handschriften; von den ältesten wissen wir nichts 3.
Diese Angabe paßt wunderbar zu der oben ausgeschriebenen Ein-
leitung durum erat ut, cum maiores de aliorum p assionibus multa
conscripserint, Cypriani passio praeteriretur, qui et sine martyrio
habuit qua.e doceret, und in der Ausführung behandeln wirklich
zwei gleich lange, klar voneinander abgehobene Teile die vita
und die passio. Die Behauptung, der Yerfasser liabe nur eine
Biographie schreiben wollen und habe für die christliche Bio-
graphie einen neuen literarischen Typus mit genialer Kunst ge-
schaffen, bedurfte dann irgend welchen Beweises. Ich finde keinen.
Weder bietet ihn der Verweis auf Franz Kempers 4 ergebnislose
1 Sehr unglücklich fügt er gegen seine Quelle bei: ‘vielleicht auch die
Acta Scüitanorurn’. Die sind weder ein Buch, noch ausführlich, noch ent-
halten sie Yisionen, welche die dignatio vor Gott betonen.
2 Ebenso der Vergleich der Einleitungssätze S. 46 A.
3 Vita et passio betitelt es Ruinart, Vita et martyrium Vatic. 198 (XV.
Jahrh.), nur Vita Vatic. 6150 (XVI. Jahrh.). Wäre nicht eine kurze Anfrage
über den Titel der bekannten Handschriften wenigstens für den notwendig
gewesen, der ohne jede Begründung den von Hieronymus einigermaßen
bezeugten Titel abändern wollte ?
4 De vitarum Cypriani, Martini Turonensis, Ambrosii, Augustini rationi-
bus, Münster 1904. An der Vergleichung der christlichen Heiligenliteratur
mit der antiken Biographie ist selbst ein sehr viel tüchtigerer junger Forscher,
Hans Mertel (Die biographische Form der griechischen Heiligenleben,
Münster 1909, vgl. K. Holls hierin richtige Kritik in Jahrbiicher f. d.klass.