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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 14. Abhandlung): Die Nachrichten über den Tod Cyprians: ein philologischer Beitrag zur Geschichte der Märtyrerliteratur — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33057#0062
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62

Richard Reitzenstein:

legit itaque de tabula iam sententiam iudex, quam
nuper in visione non legerat, sententiam spiritalem, non temere
dicendam, sententiam episcopo tali et tali teste condignam.
Der Urteilsspruch wird nicht mitgeteilt, und nur einzelne Wen-
dungen aus ihm werden pneumatisch gedeutet. Das ist befremd-
lich genug, wenn wir annehmen, daß diese Schrift die erste Auf-
zeichnung über die Ereignisse war. Daß die lex operis ein langes
Zitat in direkter Rede nicht ertragen hätte, würde zur Erklärung
nicht genügen; das ließ sich leicht vermeiden. Die gewöhnliche
Erklärung, daß alle Ghristen Carthagos den Wortlaut gekannt
hätten, genügt aucli nicht; der Verfasser dieses Buches schreibt
für weitere Kreise und schreibt für die Nachwelt. Wenn irgend-
wo, ist es hier nach meinem Empfinden klar, daß der Verfasser
eine andere Darsteliung schon als verbreitet kennt, allzu enge
Übereinstimmung mit ihr vermeidet und daher nur die Einzel-
heiten heraushebt, die sich für seinen Zweck, für das Neue, das
er bringt, eignen: durch den Mund des Heiden und Verfolgers
verkündet Gott selbst seinen Urteilsspruch: Gyprian ist ini-
micus deorum und signifer sectae 1; sein Blut besiegelt die christ-
liche Zucht und Lehre (sanguine eius sancietur disciplina).
Der Todeszug wird dann beschrieben, und Monceaux weiß zu
rühmen, daß die Schilderung des Ortes so eingehend ist: es ist
ein natürliches Amphitheater; am Rande Bäume, auf welche
die Zuschauer steigen. Das fehlt in den Akten; aber gerade eine
solche Schilderung eines nicht näher bezeichneten Ortes kann
jeder Rhetor geben, und gerade hier wirkt wenigstens für mich
fühlbar der Wetteifer mit dem grandiosen Schlußbilde des Per-
petua-Martyriums ein. Daß Gyprian sich seibst die Augen ver-
bindet, wird aus den Akten übernommen, das weitere Detail
wieder gestrichen. Ein letzter Zug erinnert vielleicht, wie Harnack
bemerkt, wieder an die literarische Vorlage, die Perpetua-Akten 2.
Aus dem rhetorischen Schluß erwähne ich nur die Betrachtung

1 Das stancl in dem echten Urteil freilich nicht; von der Desertion
zum Feinde war gesagt nequissimi criminis auctor et signifer. Die Rück-
sicht auf den bevorstehenden Krieg mit dem Reichsfeinde und auf die
Stimmung der Heere, die überhaupt auch damals die Verfolgung bedingt
haben wird, sprach sich darin aus. Dennoch hatte der Christ sachlich
ein Recht, signifer sectae herauszuhören (secta heißt ihm die christliche
Glaubensgemeinschaft, vgl. c. 4, 3 und dazu Harnack).

2 Leider scheint die Überlieferung hier verdorben. Wir müssen eine
wirkliche Ausgabe abwarten.
 
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