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Thiersch, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 4. Abhandlung): Ein parthenonisches Giebelproblem — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33047#0010
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10

H. Thiersch:

andere als die alte Aisa der Uias, die richtige Schwester der Keren
(Keipeiv = den Lebensfaden abschneiden), der Erinnyen, der Eu-
raeniden, die bei Äschylos mit den Moiren fast zu verschmelzen
scheinen. Diesen ernsten Primat auf dunkelstem Hintergrund hat
Atropos sich bei den Griechen lange bewahrt. Sie wircl darum ein-
mal geradezu Ananke gleichgesetzt (Moschion, Frg. 2 bei Nauck 2),
die noch bei Plato (Republ. X) als Mutter der Moiren und ganz wie
diese auch als eine Spinnerin gedacht ist, als clie Spinnerin der
ganzen Welt mit diamantener Spindel. Vielleicht ist ebenfalls
Atropos gemeint, wenn in dem alkmanischen Fragment 41 die
mächtigste der Moiren einfach Tyche heißt, so wie es auch einst
bei Pindar stand (nach Pausan. VII, 26, 8: Moipüuv xe eivai piav
xi'iv Tuxnv Kai imep xa^ dbeXcpd^ re icrxueiv). Später erst hat La-
chesis, die „Loserin“, die Rolle mit ihr vertauscht und an Stelle
der Atropos den Vorsitz übernommen.

Wie sehr in dieser Hauptmoire das Schicksal selbst verkörpert ge-
dacht war, erhellt weiter aus Pausanias X, 24, 4. Darnach standen
im Apollo-Tempel zu Delphi, diesem Hauptausgangspunkt der gött-
lichen Schicksalssprüche, aucli Statuen der Schicksalsgöttinnen,
aber nur von zweien. An Stelle der Hauptmoire waren hier der
oberste Lenker aller Dinge selbst, Zeus, und der Verkünder seiner
Entscheidungen, Apollon, in Person getreten. Der Akzent war also
hier so stark auf die wichtige Hauptidee, die der obersten Ent-
scheidung, gelegt, daß von der weiblichen Trias nur die beiden
„Neben“moiren übergeblieben zu sein scheinen. An Stelle der beia
poipa, der aicra Aiog, sah man Zeus und Apollo selbst.

War die überragende Bedeutung der einen Moire, der Atropos,
in Delphi indirekt, nur auf latente Weise hervorgehoben, so hat
sich ihre dominierende Rolle bis in die späteste Zeit, ja bei den
Griechen von heute noch darin bewahrt, dafi die Trias zuweilen
wieder verschwunden ist, nur die alte Einzelfigur übergebiieben
und sich in diesem Singular die alte Einfachheit der homerischen
Vorstellung wieder hergestellt hat.

So schon auf römischen Sarkophagen mit Darstellung
griechischer Mythen, z. B. Müller-Wieseler II, n. 841 oder Bubert,
Sarkophagreliefs JII, T. 91, n. 277 und 278 (Meleager). Auf einem
kapitolinischen Sarkophag derselben Gattung bei Müller-Wieseler II,
n._838 a sitzt Atropos weitgetrennt von den beiden Schwestern un-
mittelbar neben dem Leichnam. Mit der Schicksalsrolle in den
Händen hat sie unerbittlich des Lebens Ende bestimmt.
 
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