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Thiersch, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 4. Abhandlung): Ein parthenonisches Giebelproblem — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33047#0015
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Zur Deutung der erhaltenen Figuren vom Parthenon-ostgiebel. 15

Studnigzkas schneidenden Hieben auf die Moirendeutung überhaupt
und in Anbetracht dieser Figur (Jahrb. 1904, S. 3 u. 8) im be-
sonderen? Wie ist es denkbar, clah dieser vollbiütige aphrodisische
Leib in seiner weichen Trägheit die Kpaiaip Moipa, gar clie Trpeff-
ßuTdTp unter diesen ciarstellen soil?

Das ist in der Tat mögiich. Aber dazu, um diese Möglichkeit
zu erweisen, muß erst noch einmal mythologisch weiter ausgeholt
werden. Oben haben wir uns darauf beschränld, das Wesen der
Moiren und besonders der hauptsächiichsten unter ihnen unter ciem
Gesichtspunkt der reinen „Machtfrage“ hervorzuheben. Das war
aber nur die eine, die herbe Seite. Wir rnüssen diese nun ergänzen
durch die andere, die freundliche, heitere.

Die Moiren erscheinen nicht nur, sie geben und spenden auch.
Sie sind es, die dem Leben seinen Inhalt darreichen und es ge-
staiten. Darum eben sinci sie anwesend gedacht, gleich bei der
Geburt, worüber unten noch des weiteren zu handeln sein wirci.
Diejenigen aber, die über allem Leben und allem Glück waiten,
müssen auch selbst in höchstem unci unfassendstem Maße dasselbe
besitzen. Darum werden sie selber auch im Vollbesitz cies glück-
iichsten, herrlichsten, voilkommensten Körpers sein. Ganz besonders
aber ciie Erste unter ihnen.

Schon Furtwängler hat (Meisterwerke, 246) darauf hingewiesen,
daß die Moiren, ciiese Töchter der Nacht, nicht als häßlich, son-
dern clurchaus schön (XeuKcuXevoi) gedacht wurden, und ciaß nach
Pausan. I, 19, 2 in Atlien clie Aphrodite Urania als Tipeö'ßuTdTri der
Moiren galt, wobei ich aber, wie schon bemerkt., clies Epitheton
nicht, wie er unci alle bisher, auf das Alter, sondern auf den Vor-
rang in ihrer Steliung unter den Dreien beziehen möchte. Aiso
ciie vornehmste der Moiren gleichgesetzt einer Aphrodite! 8, und
zwar einer Aphrodite ev kiittoi^; denn clas war sie clort in Athen.
Moira ciemnach aufgefaßt wie jene alte Pdvalin der Artemis Lime-
natis, die in den feuchten Auen uncl Nieclerungen verehrt wurde,
wo alles wie von selber sproht, keimt, biüht uncl wuchert; auf-
gefaßt als eine Verkörperung jenes biühenden Wachstums und
paradiesisch ersprießlichen Gedeihens, das bei dieser Aphrodite „in
cien Auen“ zunächst noch rein vegetabilisch verstanden war, bis sie

8 Vgl. die schwesterliche Zusammenstellung der Moiren mit der xP uöd
’AcppobiTri im Scholion zu Soplr. Öd. Ool. 42. Ebenso Hymn. orph. 55: ’Acppobmi
Kpaxoöaa xpiuuv Moipuuv.
 
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