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Thiersch, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 4. Abhandlung): Ein parthenonisches Giebelproblem — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33047#0016
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16

H. Thiersch:

von jener Artemis aus dieser noch nicht einmal animalischen immer
mehr in clie rein menschliche Sphäre verdrängt wurde. 9 Eine solche
Verkörperung unermefalicher Lebensfülle, glücklichsten Wachstums,
Reichtums und Gedeihens: cliese Idee, welche, wie oben erwähnt,
auch zum Wesen der Moiren gehört, muMe uncl durfte irgendwann
auch in ihrer Führerin konzentriert zum Ausdruck kommen. In
jenem altattischen Kult am Ilissos und in unserer attischen Giebel-
gestalt M ist dies wirklich cler Fall.

Auch auf der Franyoisvase, die mit ihrer Moirengruppe ein
wichtiger monumentaler Beleg für jene Auffassung und ein Vorbote
cler parthenonischen Schicksalsschwestern ist. Die große Bedeutung
der Moiren im altattischen Kult erhellt schon daraus, claß nur sie,
Fland in Hand mit ihrer Mutter Themis (?), liier vor den fahrenden
Götterwagen gestellt sind, nicht wie alle anderen begleitenclen F ußgänger
halbverdeckt hinter den Pferden. Daß sie weiter als ganz besonders
schön gedacht sind, besagt ihre besondere Schmückung. Sie allein
im ganzen Festzug sind vom Maler mit den zierlich gedrechselten
Schulterfibeln bedacht. Wie junge Mädchen tragen sie nicht den
würdigen Frauenmantel. Die eine von den dreien ist endlich als
eine ganz besondere Schönheit ausgezeichnet durch die geperlte
Busenkette, eine Zierde, die sonst keine einzige aller erhaltenen
Frauengestalten auf der ganzen Vase trägt. Diese schönste der
Moiren marschiert in der Mitte der Drillinge, offenbar als die Vor-
nehmste von ihnen. 10

Das Aphrodisieren cler Moiren ist aber keineswegs eine auf
Attika beschränkte Erscheinung. Vielmehr muß sie — wieder ein
Hinweis auf die Verwandtschaft, wenn nicht Identität der drei
Moiren mit den drei schönen Nymphen, Horen, Chariten usw. —
einst das gesamte Griechenland durchzogen haben, wie noch mehr-
fache Symptome aus dem Peloponnes und aus Böotien verraten. In
Sparta genossen clie Moiren zusanmien mit Artemis Orthia (wieder
einer der grohen alten Lebenspenclerinnen!) und Aphrodite gemein-
samen Kult (G. I. Gr. 1444). In Megalopolis standen in einern vor
hohem Alter schon ganz verfallenen Tempel der Aphrodite noch zu

9 Vgl. NlLSSON, Griech. Feste, 362ff.

10 Wenn nicht, was mir jetzt wahrscheinlicher ist, ihre Nachbarin so
verstätiden werden soll, die als die erste der drei Schwestern unmittelbar
neben Themis marschiert rmd mit dem ganz besonders reichen Peplos (figür-
liche Horizontalzonen wie bei Hera) ausgezeicimet ist. Den Fibelschmuck tragen
auf der Vase bezeichnenderweise sonst nur noch die schönen jungen Nvmphen,
die mit dem zurückkehrenden Hephästos und seinen Silenen in den Olymp
einziehen.
 
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