Metadaten

Thiersch, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 4. Abhandlung): Ein parthenonisches Giebelproblem — Heidelberg, 1913

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33047#0038
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
38

H. Thiersch:

primitiven nnd der verfeinerten Anschauung, je nachdem man ihn
mit seinen unmittelbaren Nachbarinnen, den Eileithyien, oder seinem
Pendant gegenüber, Aphrodite, in Beziehung setzt.

Zu dem genitorisch gedachten Paare Hermes-Aphrodite heißt
die italische Parallele: Genius-Juno. Vgl. Wissowa, Röm. R.eligion 3,
181 ff., wo diese Koordination in klassisclier Weise interpretiert ist.
Juno heiJst ja, wie man jetzt erkannt hat, nichts anderes als „mann-
bares Weib, junge Frau“ (vom Stamme iun). „Die Römer haben
also che allenthalben die Welt der Erscheinungen durchdringende
göttliche Kraft im Menschen zunächst wirksam gedacht in dem stets
sich erneuernden Wunder der Fortpflanzung, und die zeugende
Kraft des Mannes auf der einen, clie empfangende und gebärende
Funktion cles Weibes auf der anderen Seite in den göttlichen
Mächten Genius und Juno zum Ausdruck gebracht, die dann weiter-
hin auch das Gesamtleben der beiden Geschlechter umfassen und
nebeneinander stehen nicht nur wie die Begriffe Zeugung und
Empfängnis, sondern wie die Begriffe Mann und Weib.“

Flermes und Apbrodite bilden also in gegenseitiger Ent-
sprechung des einen Lebensprinzipes die äußersten Enden der
großen olympischen Geburtsgruppe, ruhig gelagert der gehenden und
kommendenWelt, deraußerolympischenUmgebung ins Auge schauend.
Das ist sichtlich gewollt. Und es ist nicht nur im Giebel so. Merk-
würdigerweise ganz ebenso auch im Fries, der unter cliesem selben
Giebel innen über dem Pronaos durchlief. Die Entsprechung, auf
die ich ganz zuletzt erst aufmerksam wurde, ist ganz evident: links
ganz am Ende der Götter Hermes, rechts ebenso Aphrodite, Zeus
und Athena aber genau wieder wie im Giebel am meisten nach
innen gegen die Mitte zu gerückt. Diese Ühereinstimmung ist auch
darum bemerkenswert, weil sie auf eine einheitiiche Konzeption des
gesamten parthenonischen Giebelschmuckes, auf einen einzigen ent-
werfenden Künstler ein neues Licht zu werfen scheint, auf den
jedenfalls ideellen Anteil des Phidias selbst an diesen Dingen, d. h.
an dem bilclhauerischen Entwurf zur Ausschmückung cles ganzen
Gebäudes in allen seinen Teilen. 45

In welcher göttlichen Ruhe fließt die olympische Versammlung
in diesen beiden Gestalten, Flermes und Aphrodite Urania, aus! Wie
unbekümmert, wie anscheinend teilnahmlos liegen sie, abgekehrt von

45 Zum Anteil des Phidias an den parthenonischen Figuren vgl. jetzt LöWY,
Griech. Plastik, S. 45, und ERNEST GARDENER Xenia, Hommage international
ä l’imiversite de Grece, I, 1912, p. 49 ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften