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E. Gothein:
Hier soll vielmehr der Versuch gemacht werden, den Begriff
der Reservearmee auch auf die Beschaffung und Verwendung
des Kapitals selber zu übertragen. Nur hierzu, nur um die Analo-
gien aufzufinden, seien einige Andeutungen über Probleme, die
sich bei der Betrachtung der Reservearmee der Arbeit aufdrängen,
vorausgeschickt.
Zwei verschiedene Ursachen, die sich auf die verschiedene
Wirkungsweise des Produktionsfaktors Kapital zurückführen,
sind für die Existenz der Reservearmee maßgebend. Zunächst wirkt
dahin die Ungleichmäßigkeit des Absatzes, die eine notwendige Folge
des kapitalistischen Produktionsprozesses ist, indemin diesem durch
Verwendung des Mehrwertes zu weiterer Produktionssteigerung
jene Fühlung der Produktion mit dem Bedarf abhanden kommt,
die das Wesen einer bloßen Bedarfsdeckungswirtschaft ist. Hier-
nicht aus, sodann aber könnte es sich ja hier nur um eine vorüber-
gehende Erscheinung handeln, die ihrerseits selber erklärt werden muß.
Theoretische, deduktive Gedankengänge müssen auf dem gleichen Wege nach-
geprüft werden. Beachtenswert ist beim Problem der Reservearmee in dieser
Beziehung derVersuch von J. Wolf, aber den Nachweis, daß hier bei Marx
ein Zirkelschluß vorliege, scheint mir nicht erbracht zu sein. Andrerseits istes
einbloßer Fechterstreich, wenn Ivautsky, um unbequeme Tatsachen, die die
liickenlose Geltung des Systems beeinträchtigen, zu beseitigen, eine Unter-
scheidung von physischer und sozialer Verelendung macht und die erste preis-
gibt, um die zweite zu retten. Nicht hierum kann es sich handeln, sondern nur
um die Frage, ob die fortschreitende Organisation des Kapitals, insbesondere
beim Überwiegen des stehenden Kapitals, eine größere Sicherheit oder eine
wachsende Unsicherheit in der Beschäftigung der Arbeiter mit sich bringt.
ITierauf muß sich auch die theoretische Behandlung der sozialen Frage immer
mehr zuspitzen. Ganz unentbehrlich ist aber in dieser Beziehung der Begriff
der Reservearmee für die Erklärung der „relativen Übervölkerung“, der doch
allmählich über den der absoluten Übervölkerung den Sieg davongetragen
hat, trotz der scharfsinnigen Bemühungen Platters, die MARXSche Betrach-
tungsweise auf die des Malthus zu reduzieren und in dessen Sinne die abso-
lute Übervölkerung zum Ausgangspunkt auch für die Existenz der Reserve-
armee, die bei Marx das Ergebnis der kapitalistischen Produktionsweise
ist, zu machen. Es ist interessant zu beobachten, daß der Begriff derrelativen
Übervölkerung von Fr. List geschaffen worden ist, um sekundäre unnot-
wendige Erscheinungen, bloße Stockungen infolge mangelhafter Organisa-
tion, die einem tüchtigen Volke den ITinweis und den Anstoß zur Verbes-
serung derselben geben, zu kennzeichnen. K. Marx, der diesen Begriff — übri-
gens kaum beeinflußt von List —• aufnahm, hat ihn dagegen als notwendige
Konsequenz der kapitalistischen Wirtschaftsverfassung überhaupt erweisen
wollen. ITier wie dort wird man, wie immer, bei allem aufrichtigen Bestreben
nach rein kausaler Erklärung, einen Rest von Werturteilen, sei es optimis-
tischer, sei es pessimistischer Art, zugrunde liegen finden.
E. Gothein:
Hier soll vielmehr der Versuch gemacht werden, den Begriff
der Reservearmee auch auf die Beschaffung und Verwendung
des Kapitals selber zu übertragen. Nur hierzu, nur um die Analo-
gien aufzufinden, seien einige Andeutungen über Probleme, die
sich bei der Betrachtung der Reservearmee der Arbeit aufdrängen,
vorausgeschickt.
Zwei verschiedene Ursachen, die sich auf die verschiedene
Wirkungsweise des Produktionsfaktors Kapital zurückführen,
sind für die Existenz der Reservearmee maßgebend. Zunächst wirkt
dahin die Ungleichmäßigkeit des Absatzes, die eine notwendige Folge
des kapitalistischen Produktionsprozesses ist, indemin diesem durch
Verwendung des Mehrwertes zu weiterer Produktionssteigerung
jene Fühlung der Produktion mit dem Bedarf abhanden kommt,
die das Wesen einer bloßen Bedarfsdeckungswirtschaft ist. Hier-
nicht aus, sodann aber könnte es sich ja hier nur um eine vorüber-
gehende Erscheinung handeln, die ihrerseits selber erklärt werden muß.
Theoretische, deduktive Gedankengänge müssen auf dem gleichen Wege nach-
geprüft werden. Beachtenswert ist beim Problem der Reservearmee in dieser
Beziehung derVersuch von J. Wolf, aber den Nachweis, daß hier bei Marx
ein Zirkelschluß vorliege, scheint mir nicht erbracht zu sein. Andrerseits istes
einbloßer Fechterstreich, wenn Ivautsky, um unbequeme Tatsachen, die die
liickenlose Geltung des Systems beeinträchtigen, zu beseitigen, eine Unter-
scheidung von physischer und sozialer Verelendung macht und die erste preis-
gibt, um die zweite zu retten. Nicht hierum kann es sich handeln, sondern nur
um die Frage, ob die fortschreitende Organisation des Kapitals, insbesondere
beim Überwiegen des stehenden Kapitals, eine größere Sicherheit oder eine
wachsende Unsicherheit in der Beschäftigung der Arbeiter mit sich bringt.
ITierauf muß sich auch die theoretische Behandlung der sozialen Frage immer
mehr zuspitzen. Ganz unentbehrlich ist aber in dieser Beziehung der Begriff
der Reservearmee für die Erklärung der „relativen Übervölkerung“, der doch
allmählich über den der absoluten Übervölkerung den Sieg davongetragen
hat, trotz der scharfsinnigen Bemühungen Platters, die MARXSche Betrach-
tungsweise auf die des Malthus zu reduzieren und in dessen Sinne die abso-
lute Übervölkerung zum Ausgangspunkt auch für die Existenz der Reserve-
armee, die bei Marx das Ergebnis der kapitalistischen Produktionsweise
ist, zu machen. Es ist interessant zu beobachten, daß der Begriff derrelativen
Übervölkerung von Fr. List geschaffen worden ist, um sekundäre unnot-
wendige Erscheinungen, bloße Stockungen infolge mangelhafter Organisa-
tion, die einem tüchtigen Volke den ITinweis und den Anstoß zur Verbes-
serung derselben geben, zu kennzeichnen. K. Marx, der diesen Begriff — übri-
gens kaum beeinflußt von List —• aufnahm, hat ihn dagegen als notwendige
Konsequenz der kapitalistischen Wirtschaftsverfassung überhaupt erweisen
wollen. ITier wie dort wird man, wie immer, bei allem aufrichtigen Bestreben
nach rein kausaler Erklärung, einen Rest von Werturteilen, sei es optimis-
tischer, sei es pessimistischer Art, zugrunde liegen finden.