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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0014
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E. Gothein:

mentlich für Spezialitäten Beschäftigung. Ebenso bringt es
in Barmen das weiterhin noch zu besprechende System der Lohn-
industrie mit sicE, daß der Stamm der großen Fabrikanten ge-
radezu von einem Schwarm kleinerer, die ihre Rolle mit der des
Fabrikmeisters im Umsehen wechseln, umgeben ist. Aus dem be-
nachbarten Ronsdorf, der Stadt der Hutbänder, sind mir Fälle
hekannt, daß Fabrikanten in einem Jahr nur ein Drittel, im nächsten
aber zwei Drittel ihres Bedarfs in der eigenen Fabrik herstellten.
Für das übrige kommt die Reservearmee auf, die hier allerdings
mehr aus Hausindustriellen als aus kleineren Fabrikanten besteht.
Diese Beispiele zeigen nämlich, daß die Grenzlinien der Reserve-
armee der Arbeit und der des Kapitals ineinander verlaufen
können.

Die Beispiele aus der Industrie lassen sich leicht vermehren.
Besonders interessant ist die Rolle, die die irreguläre Reserve-
armee im Verkehrswesen spielt. Bekannt sind jedem von der
Alpenreise die Postmeister, die verpflichtet sind, genügend Pferde
für die Beförderung der Reisenden zu stellen. Sie müssen sich
Pferde bei den Bauern leihen oder auch schon vorher sichern,
um dem Andrang in der Reisezeit gerecht zu werden. In der
Vergangenheit war der Frachtverkehr zu Wasser und zu Lande
größtenteils auf solche Vorspanndienste aus diesem bäuerlichen
Reservekapital angewiesen. Wenn wir Goethe glauben wollen,
so hätte sogar der Weimarische „Staat“ die Chausseen absichtlich
so gebaut, daß diese Reservetruppe inimer Beschäftigung fand, die
Bauern mit dem Vorspann, die Wirte mit dem verlängerten Auf-
enthalt der Fuhrleute. Noch heute aber beruht der Betrieb der
Binnenschiffahrt mit ihren enorm wechselnden, teils von der
Geschäftslage, mehr aber noch von den natürlichen Bedingungen
der Wasserstände abhängigen Konjunkturen ganz auf dieser
wechselweisen Anziehung und Abstoßung des disponiblen, fluk-
tuierenden Kapitals der Partikulierschiffer. Dieser ist ein klein-
kapitalistischer Unternehmer, der zugleich mitarbeitet, dem
Handwerker, der sich ins Getriebe geschäftlicher Unterneh-
mungen begeben hat, vergleichbar. Als seit dem Beginn
der vierziger Jahre die großen Reedereien entstanden und
durch die Kombination von Schleppdampfern und Kähnen
sofort die Vorteile des großkapitalistischen Betriebs sicli aneig-
neten, als die einzelnen Plätze arn Rhein sich jeder womöglich den
Besitz solcher Gesellschaften sicherten, schien es, als ob die Par-
 
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