Metadaten

Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0020
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
20

E. Gothein:

variablen. Im Bankwesen hat bekanntlich seit geraumer Zeit
eine Konzentration von erstaunlichem Umfang eingesetzt, wenn
sie auch nicht in allen Provinzen gleichmäßig auftritt. Sie beruht
größtenteils auf der Notwendigkeit, große Kapitalmassen für
Riesenunternelimungen rasch aufzubringen; ihre Vorteile für die
Beschaffung und rasche Verlegung des Großkapitals an die ge-
eigneten Punkte sind bekannt; vielfach hat auch die Sicherheit
der Vermögensverwaltung der Kunden hierbei gewonnen, allmäh-
lich aber kommt man doch zu der Erkenntnis, daß der Privatbankier,
ebenso wie die kleineren genossenschaftlichen Unternehmungen
nicht zu entbehren sind und auch nicht durch das Netz von Depositen-
banken, die zu oft zu „Spielbuden“ 1 für das Publikum werden,
zu ersetzen sind. Statt die großen Privatfirmen aufzusaugen,
findet man es bereits wieder vorteilhaft, sie nur zu freund-
schaftlicher Anlehnung zu veranlassen. Der, freilich sehr redu-
zierte, Schwarm der kleineren, namentlich aber der Genossen-
schaftskassen erweist sich in unserer Zeit, wo es nicht angezeigt
ist, vorhandene Geldvorräte ungenutzt rasten zu lassen, als un-
enthehrlich, cliese heranzuholen. Sie bilden daher die Reservearmee
des mobilen Kapitals.

Die Notwendigkeit, daß Andere Reserven lialten, auf die man
zurückgreifen kann, wenn die eigenen ausgehen, macht sich auf
dem Geldmarkte in den verschiedensten Formen geltend: einmal
sind es, zumal in Krisen, die großen Zentralbanken als Reservoire
der Baarbestände der Weltwirtschaft. Am Ende des 18. Jahr-
hunderts hat bereits die Hamburger Bank diese Rolle ge-
spielt, heute tut es bekanntlich die Banque de France. Bei dem
geringen Bedarf nach industriellem Betriebskapital in Frankreich
selber, gereicht dies zu großem Vorteil für die eigene Volkswirt-
schaft, während für uns in Deutschland dieselbe Rolle, als sie uns
Amerika in seiner letzten Krisis zuschob, indem es das Gold aus unse-
rer Volkswirtschaft herauszog, recht unbequem war. So mäclitige
Reservoire wie clie Banque de France wird man, um im militä-
rischen Bilde, das kaum noch ein Bild ist, zu bleiben, nicht mehr
eine Reservetruppe, die jederzeit zu haben ist, sondern einen
Alliierten, der nach eigenem Ermessen seine Gunst zuwendet
uncl entzieht, nennen dürfen. Ebendeshalb bedarf eine Volks-
wirtschaft, die sich weniger der internationalen Gunst erfreut
und nötigenfalls ohne Allherten auskommen muß, ebenso der

1 Ein Ausdruck, den ich einem großen rheinischen Bankier verdanke.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften