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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0021
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Die Reservearmee des Kapitals.

21

Konzentration des Kapitals wie der Reserve-Armee. Beide müssen
einander ergänzen. In der vielerörterten Frage der Kriegsbereit-
sckaft handelt es sich um nichts anderes: die Notwendigkeit,
ohne die Volkswirtschaft clurch plötzliche Kapitalentziehung lahm-
zulegen, dennoch die Geldreserven für den Zweck der Kriegführung
mobil zumachen, liegt auf der Hand. Es ist bezeichnend, daß man
hierbei jetzt wieder mehr seine Hoffnung auf die Reservearmee
setzt, — ob mit Recht, das ist freilich das Problem. Denn einst-
weilen macht die wirtschaftliche Unerzogenheit unseres Volkes, wie
der beschämende Sturm auf die Sparkassen bei Kriegsgerüchten
zeigt, mehr die Panik als das Einrücken der Reservetruppe wahr-
scheinlich.

Ein gewisser Unterschied zeigt sich zwischen der Reserve-
armee des stehenden und der des variablen Kapitals. Jene kommt
zur Verwendung bei gutem Geschäftsgang und wird abgestoßen
bei schlechtem, diese drängt sich allerdings auch in cler Hausse
hervor, aber man braucht sie da eigentlich wenig, während man
sie bei jeder drohenden oder nahenden Krisis einberuft, freilich
sie nicht immer haben kann. Das beruht eben auf jener Verschie-
denheit dieser beiden Arten von Kapital, vermöge deren das
stehende nur zur Produktion zu verwenden ist und deshalb bei
Überproduktion unverwendbar wird, wärend das variable, das
Geld, als Repräsentant der wirtschaftlichen Macht schlechthin
jeden Dienst in kurzer Frist zu leisten vermag.

Blicken wir nun endlich in die Vergangenheit, in die Werde-
zeit des Kapitalismus zurück, so bemerken wir, daß früher das selb-
ständig auftretende Kapital zunächst nur die Rolle der irregulären
Reserve übernehmen konnte und durfte. Denn die Bedarfs-
deckungswirtschaft, noch zuletzt die der Zünfte, ging eben dahin,
auch wo sie mit einem Markt zu rechnen hatte und nicht bloß
naturalwirtschaftlich das lokale Ineinandergreifen von Produktion
und Konsumtion regelte, die Warenerzeugung regelmäßig zu
gestalten; deshalb suchte man die Produktion gleichmäßig auszu-
teilen und durch Abschluß des Marktes die Konstanz dieses Ver-
hältnisses möglichst aufrecht zu erhalten. Wo sich trotzdem
Lücken und Unstimmigkeiten zeigten, durfte vorübergehend zur
Aushilfe, recht eigentlich als Lüc.kenbüßer, das Kapital erscheinen.
Es zeigte sich dann natürlich immer, daß die Belohnung dieser
irregulären Reservearmee sehr hoch ausfallen mußte, so daß
man die Notlage, der es abhelfen sollte, ihm selber zur Last schob.
 
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