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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0025
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Die Reservearmee des Kapitals.

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gilt es zwar, daß der Besitzer des Kapitals, wenn sich dieses von
der Arbeit getrennt hat, der Mächtigere ist — wir bezeichnen dies
jaseit KarlMarx als die Grundtendenz der kapitalistischen Unter-
nehmung überhaupt —, allein jene anderen Fälle, daß die Kapital-
haltung eine Last wird und sich zu einer gewissen Dienstbarkeit
verurteilt sieht, bilden eine beachtenswerte Nebenströmung.

Bereits in der Bedarfsdeckungswirtschaft finden sich solche
Formen der Kapitalhaltung; gemeinhin wird in ihr der Bedarf nach
stehendem Kapital überhaupt auf diese Weise gedeckt. Das be-
kannteste Beispiel hierfür ist dieMüllerei. DerMüller besitzt zuEigen-
tum oder, was einen geringen Unterschied macht, zu Erblehen die
Mühle, das allen Einzelwirtschaften dienende Betriebsmittel; er
ist also Inhaber des Kapitals. Es ist aber dafür gesorgt, daß sich
auf Grundlage dieses Besitzes kein kapitalistischer Betrieb er-
heben kann. Das verhindert nicht sowohl seine Kleinheit —- auch
der kleine Handelsmüller ist doch sofort kapitalistischer Unter-
nehmer —, sondern das Zwangsverhältnis, der durch das Recht
fixierte Yertrag, in dem er zu seinen Mahlgästen steht. Damit
erscheint sein Eigentum im mittelalterlichen Sinne des Wortes
als ein Amt. An Versuchen dieses Kapitalinhabers Kapitalist
zu werden, fehlt es zwar nicht — Mißtrauen und Hohn begleitet
die Lohnmüllerei beständig —, aber immer werden sie siegreich
zurückgeschlagen, bis dann in unserer Zeit die Entwicklung der
selbständigen Handelsmüllerei sich an ihre Stelle gesetzt hat.
In der alten Wirtschaftsorganisation ist also auch schon das
Kapital, das eine wesentliche Rolle im Produktionsprozeß zu
übernehmen hat, aus diesem herausgehoben, es ist von ihm, sogar
als besonderes Eigentum, getrennt; dennoch ist es gebunden: die
Kapitalhaltung ist ein mäßig entlohnter Dienst.

Von entscheidender Bedeutung wird clie Abschiebung der
Kapitalhaltung aber erst auf den früheren Stufen der kapitalisti-
schen Entwicklung. Denn diese steht auf lange Zeit hin im großen
ganzen noch unter dem Zeichen des variablen Kapitals, das
als Lohnfonds, Materialfonds, Warenfonds usw. seine Verwendung
findet. Deshalb ist aber doch das stehende Kapital, das Arbeits-
werkzeug, wenn auch verhältnismäßig schwach, nicht von geringer
Bedeutung. Dieses ist jedoch dem Arbeiter belassen. Die Trennung
des Kapitals von der Arbeit ist einstweilen noch unvollstänclig.
Historisch erklärt sich das in der Hausindustrie claraus, daß die
 
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