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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0024
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E. Gothein:

Bestandteile besser von Spezialfabriken kauft, als sie selber herstellt,
wie etwa die deutschen Nähmaschinenfabriken, die doch die denkbar
höchste Mannigfaltigkeit in der Herstellung einzelner Teile ent-
wickeln, zumal sie meistens mit unterstützenden Fabrikationen
anderer Waren verbunden sind, trotzdem durchweg Schiffchen
und Spulen lieber kaufen als herstellen. Die eine wie die andere
Form der Arbeitsteilung wirkt als Gegenströmung gegen die
Hauptrichtung der kapitalistischen Entwicklung. Diese drängt
dahin, den einzelnen Betrieb unabhängig nach allen Seiten auszu-
gestalten, also technisch ihn vertikal aufzubauen, wirtschaftlich die
Kapitalakkumulation in ihm zu vollziehen, die dann wieder als Basis
dafür dient, fremdes Kapital auf dem Wege des Ivredits in den
eigenen Betrieb zu ziehen und ihn so noch weiter zu verstärken.
Allein bisweilen versagt dieser Versuch, der entgegengesetzte
Weg erweist sich dann als vorteilhafter. Der Vorteil jener Ab-
wälzung des Kapitals besteht dann darin, daß man den
eigenen Kapitalvorrat voll ausnützen, den fremdn ohne
die Verbindlichkeit, die die Kredithenützung mit sich führt
regehnäßig aber nach Bedarf benützen kann. Allerdings wird
diese Benützung verhältnismäßig teuer ausfallen. Während die
Beservearmee der Arbeit daliin wirkt, daß die Rate des Arbeits-
lohnes herabgedrückt wird, wirkt umgekehrt die Reservearmee
des Kapitals dahin, daß die Zinsrate gesteigert wird. Doch wird
diese Steigerung für den einzelnen wie für die Gesamtheit wieder
dadurch kompensiert, daß die Ivapitalausnützung eine weit voll-
ständigere ist, als wenn der einzelne sich die gesamte Kapital-
haltung auflüde. Hier springt die Ähnlichkeit der irregulären
und der regulären Reservearmee besonders in die Augen. Ein
Beispiel genüge für alle: Die Bijouterieindustrie von Schwäbisch-
Gmünd steht nach sachkundiger Mitteilung besonders auch des-
halb hinter der Pforzheimer zurück, weil hier der Fabrikant ge-
wöhnlich die volle Ausrüstung, die eine bedeutende Kapitalin-
vestierung darstellt, besitzt, während in der vielseitig ausgebauten
Pforzheimer Industrie eine wahre Virtuosität entwickelt ist,
die Kapitalhaltung immer auf den Vormann abzuwälzen. Für
den Kapital-Schwachen — in unserem Beispiel würde es sich
in der Mehrzahl der Fälle um solche handeln — ist das innner ein
Vorteil, für den Kapital-Kräftigen wird es eine Sache der ein-
zelnen Kalkulation sein, ob er lieber eigenes Kapital investiert
oder fremdes gegen Entgelt für sich arbeiten läßt. Im allgemeinen
 
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